Walk & Talk
Jennifer Perez
Interview
La Nefera

«Ich bin hart!»

Veröffentlicht am Mittwoch, 11. Januar 2023 von Valérie Ziegler.

Sie rappt gnadenlos und direkt aus dem Leben: Im November 2022 hat La Nefera den Basler Pop-Preis gewonnen. Und zwar voll verdient. Wieso sie den Schritt in die musikalische Selbständigkeit nun endlich wagt und wo in Basel sie gerne Zmorge isst, erzählt sie uns auf einem Winterspaziergang am Rhein.

Wir treffen uns vor dem Café Finkmüller an der Klybeckstrasse. «Ich komme gerne hierher, um mit Freunden Kaffee zu trinken. Irgendwie kennen diesen tollen Ort viele Leute noch immer nicht», erzählt Jennifer Perez, die du vielleicht eher unter dem Namen La Nefera kennst.

Die 34-Jährige hat soeben ihren letzten Arbeitstag als Projektkoordinatorin im Careleaver Netzwerk Basel hinter sich gebracht. Ein emotionaler Moment also, den ich mit ihr auf einem Winterspaziergang teilen darf.

«Ich bin gerade überall am Abschied nehmen. Im Januar mache ich mich nämlich auf eine fünfmonatige Reise. Alles ein bisschen emotional grad.»

Zwei Monate Costa Rica, gefolgt von drei Monaten in einer kolumbianischen Musik-Residenz von Pro Helvetia; es gibt durchaus düsterere Prognosen fürs 2023.


Auf dem Weg zum Rheinufer erzählt mir die Rapperin, dass sie noch nicht recht wisse, was sie in Kolumbien erwarten wird. Ihr Hauptziel sei auf jeden Fall das Mischen vom neuen Album. «Wir connecten uns aktuell gerade mit spannenden und wichtigen Leuten vor Ort. Ein gutes Netzwerk ist enorm wichtig.» Wir, das sind Jennifer und Victor, der Sousaphonist der Band La Nefera. «Die anderen Bandmitglieder fliegen im Mai nach. Bis dann sollten wir mit dem Booking einer kleinen Tour ready sein», schmunzelt Jenny, «Zuerst freue ich mich aber auf Costa Rica. Auf Erholung und Inspiration. Und auf die Brüllaffen» – ihr dreckig-schallendes Lachen ist einfach herrlich!


«Die digitale Entwicklung der Musiklandschaft mit den Playlisten ist so einengend. Glücklickerweise sind wir mit La Nefera nicht so stark davon betroffen. Wir leben hauptsächlich von unseren Gigs.» 

Jennifer kommt ursprünglich aus der Dominikanischen Republik. Mit zehn Jahren ist sie mit ihren Schwestern und der gemeinsamen Mutter in die Schweiz gekommen, um hier ein neues Leben zu beginnen. In Laufen aufgewachsen, musste sie sich schon früh diversen Herausforderungen stellen, um hier Fuss zu fassen. «Ich erinnere mich noch daran, wie enorm fremd und weit weg sich selbst Basel anfühlte – mir fehlte komplett die Übersicht», blickt sie zurück. «Und heute kenne ich die Stadt sehr gut. Es ist alles so überschaubar. Ich liebe zum Beispiel die Quartierflohmis, wo du auch die verstecktesten Basler Hinterhöfe kennenlernst.»

Leben tut Jennifer mittlerweile in Pratteln. Die Tour in Kolumbien ist ihr erster Auftritt im spanischsprachigen Raum. «Wir haben uns bewusst für Kolumbien entschieden.» Denn ihre Heimat, die Dominikanische Republik, sei musikalisch noch eher traditionell oder sehr kommerziell unterwegs. Harter Rap mit elektronischem Einfluss und Brass-Instrumenten sei selbst auf der karibischen Insel noch immer zu exotisch. 


Nix Kelly Family oder Backstreet Boys

Jennifers erste Musikerfahrungen führen sie zwar zur kubanisch-amerikanischen Sängerin Celia Cruz und dem spanischem Sänger Camilo Sesto, «mein Vater hat dauernd irgendwelche Balladen gesungen», ihre Leidenschaft galt jedoch schon immer der urbanen Musik. «Die erste CD, die ich mir gekauft habe, war entweder eine R’n’B-Compilation oder was von Red Man.»

Der erste Ausgang fand in einem Latinoschuppen in der Steine statt. «Oder war es doch die Freie Strasse? Wir waren oft mit meiner Mutter dort», sonntags trafen sie sich jeweils mit anderen dominikanischen Familien zur Bodega, «Tanzen war schon immer meine grosse Leidenschaft, welche ich vor allem mit meiner jüngeren Schwester geteilt habe», erzählt sie. «Als ich dann eines Tages eine CD von Shawnna gekriegt habe, machte es klick. Ich war schon immer ein grosser Fan von Rapperinnen wie Missy Elliot, Lil Kim oder Lauryn Hill. Shawnna aber hatte was Besonderes! Sie war die erste Frau, die ich richtig krass rappen gehört habe, mit harten Beats und ohne schnulzigem Gesang. Das hat mich echt gepackt, denn ich selbst fühlte mich auch hart» – hier ist es wieder, das herrliche Lachen. Hart im Sinne von direkt, tough, gnadenlos. «Ich habe ihre Texte ausgedruckt und geübt und geübt.» Irgendwann wurden dann eigene Lyrics daraus. Jenny war ungefähr 17 Jahre alt.




Ihr damaliger Freund war ebenfalls Rapper. «Wir haben uns gegenseitig gepusht, einen eigenen Bandraum mit Studio aufgebaut, welchen wir übrigens bis heute teilen.» 2008 suchte die kubanische Hip-Hop-Band Orishas eine Vorband; Jennifer und ihr Ex-Freund haben den Wettbewerb gewonnen. «Das war ein krasser Moment!» Aber noch lange nicht der Startschuss in eine unabhängige Musikkarriere.


Die nahbare Powerfrau stammt aus einfachen Verhältnissen. «Meiner Mutter waren die soziale und finanzielle Sicherheit und Unabhängigkeit sehr wichtig.» Eine Einstellung, die Jennifer irgendwie verinnerlicht hat.

2009 hat sie ihr Studium in Sozialer Arbeit in Angriff genommen. «Musik war für viele Jahre nur eine Leidenschaft; ich hatte nie den Anspruch, dass es professionell werden müsste.»

Dank dem Projekt 1 City 1 Song von Black Tiger hat die lebensfrohe Latina jedoch immer mehr Fuss im Business gefasst und sich insbesondere auch mit den wenigen Frauen, die in der lokalen Musiklandschaft vertreten waren, verknüpft.

«Ende 2016 habe ich dann per Zufall einen Trompetisten der Brass Band Error 404 kennengelernt, der mich in eine ihrer Proben eingeladen hat.» Das war der Anfang vom ersten gemeinsamen Album.

«Ich erinnere mich noch daran, wie ich vor sechs Jahren ebenfalls mit einer Mini-Besetzung aus Error-Musikern mit den Proben für eine Fasnachtsausgabe von Mitten in der Woche beschäftigt war. Bereits damals haben wir über Kolumbien gesprochen und sogar Stiftungsbeiträge für eine Tour erhalten.» Geklappt hat es zu diesem Zeitpunkt aber nicht. Dafür haben sie danach die Band La Nefera aufgebaut. Und mit dieser touren sie heute erfolgreich durch ganz Europa. «Dass wir nun Jahre später vor der gleichen Chance stehen, das ist schon sehr oh.my.god!»