Es liegen Scherben am Boden. Mitten in der Galerie, kurz vor der Eröffnung einer neuen Ausstellung. Was nach einem kaputten Spiegel aussieht, ist jedoch mehr als das. Wer den Blick vom Boden hebt, sieht das Gesicht, das die Reflexion des Scherbenhaufens an der Wand hinterlässt. Auch wenn die Splitter auf dem Boden kein Gesicht erkennen lassen, so schaut es doch ganz deutlich von der Wand herab. Verblüffend ist das. Verblüffend wie alle Werke des Künstlers Simon Berger, der sich aktuell im Artstübli kreativ austobt.

Den gesamten Raum hat er mit Glasplatten ausgelegt, man getraut sich kaum, die Galerie zu betreten – schon gar nicht auf Absätzen. Auf Glas treten, das tut man doch nicht! Niemand möchte verantwortlich sein für Glasbruch in einem Kunstraum. Doch in diesem Falle wird aus Zerstörung Neues, Schönes, Kunst sogar. Natürlich liegt hier kein einfaches Scheibenglas am Boden, sondern dicke Verbundsicherheitsplatten, die nicht mal ein Zentner schwerer Mensch zum Brechen bringt. «Ausser an einer Stelle», grinst Philipp Brogli, Inhaber vom Artstübli und Galerist von Simon Berger. «Hier, wo am Boden bereits ein paar Risse zu sehen sind, liegen dünnere Glasplatten. Sie sollen brechen, denn darunter hat der Künstler eine unsichtbare Installation versteckt, die mit der Zeit auf dem Glas ein sichtbares Kunstwerk hinterlassen.» Je mehr schwere Besuchende durch die Galerie spazieren, desto besser. Eine Live-Cam filmt den Prozess, so kann man das langsam entstehende Bild online mitverfolgen.

Ich möchte, dass hier Kunst raumübergreifend entsteht und dass die Besuchenden dabei zusehen und auch interagieren können.

Auf die Idee, das Artstübli für raumfüllende Installationen zur Verfügung zu stellen, kam Philipp vergangenen Sommer. Der Mietvertrag für die Lokalität am Steinenberg wurde um weitere fünf Jahre verlängert, er fragte sich: «Wie weiter, was macht Sinn – was Spass?» Er entschied, sein Artstübli fortan jeweils einem Künstler zur Verfügung zu stellen, der den Raum nach Lust und Laune bespielen kann. «Ich möchte, dass hier Kunst raumübergreifend entsteht und dass die Besuchenden dabei zusehen und auch interagieren können.» Simon Berger ist nun der erste, der in den kommenden drei Monaten den Freipass zum Experimentieren bekommt. «Alle paar Wochen ist er hier und macht etwas Neues. Es wird spannend», ist sich Philipp sicher.

Seit 2018 begleitet er den Künstler aus Niederönz bei Härkingen. 2019 war Simon Berger erstmals im Artstübli zu sehen – das Gesicht, das Berger damals eigens für die Ausstellung in Basel ins Glas hämmerte, war eines seiner ersten grossflächigen Bilder. Es hängt noch heute neben der Eingangstür der Galerie und zieht die Passantinnen und Passanten in Bann. Seither ist viel passiert. Simon Berger, der gelernte Schreiner, widmet sich seit 2020 voll und ganz der Kunst. Er hatte Ausstellungen in Brüssel, Mailand und Paris. Sein Porträt der ersten US-Vizepräsidentin Kamala Harris stand 2021 beim Lincoln Memorial in Washington. Im selben Jahr schuf er ein Mahnmal für die Opfer der Explosion in Beirut unter dem Titel «We Are Unbreakable». Kurz vor der Eröffnung seines Raumprojektes im Artstübli zeigt er seine Kunst an der Art Miami. Simon Berger ist in kurzer Zeit zum Kunst-Star geworden. Wie schön, dass wir ihm im Artstübli in den nächsten Monaten immer wieder begegnen, ihm beim Kunst-Schaffen zusehen und mit ihm plaudern können. Star-Allüren sind ihm nämlich fremd.

Rauminstallation von und mit Simon Berger

Glaskünstler Simon Berger inszeniert den Raum im Artstübli komplett frei nach seinen Vorstellungen und erschafft aus seinen weiterentwickelten Experimenten erstmalig neue Rauminstallationen, worin sich die Besuchenden integrieren und mit dem Material Glas interagieren. Im Rahmen des neuen ARTYOU-Konzeptes werden zudem diverse Anlässe zum Thema «Glas» stattfinden, welche Simon Bergers Kunst mit Kulinarik und Performance verbinden. Die Ausstellung dauert bis am 31. März 2023.

ARTSTÜBLI Steinentorberg 28 – artstuebli.ch