Neu kannst du im Volkshaus Basel nicht nur essen, feiern und Kultur geniessen, sondern auch wunderbar schlafen. Seit 2011 arbeiteten die Architekten Ascan Mergenthaler und Yasmin Kherad von Herzog & de Meuron daran, aus dem einst eher tristen Gebäudekomplex einen stimmungsvollen Ort zu machen. Um es gleich vorweg zu nehmen: Mission geglückt!

Es gibt Räume, die empfangen dich mit weit geöffneten Armen und dem Duft von Grosis Apfelstrudel in der Luft. In denen fühlst du dich vom ersten Moment an so wohl, dass sich Körper und Geist sofort in einem maximal entspannten Zustand befinden. Exakt 45 solcher Räume findest du im neuen Boutique-Hotel im Volkshaus Basel. Zwar riecht es dort momentan noch nigelnagelneu, aber schon beim Eintreten fühlt es sich an, als würde dir jemand liebevoll den Rücken kraulen. 

HOTELZIMMER SIND INTIME RÄUME, IHRE AUSSTRAHLUNG UND ATMOSPHÄRE SIND ENTSCHEIDEND FÜR DAS WOHLBEFINDEN DER GÄSTE. Ascan Mergenthaler

Genau diesen Kokon aus Harmonie und Gemütlichkeit wollten die Architekten Ascan Mergenthaler und Yasmin Kherad erreichen. Gemeinsam mit ihrem Team von Herzog & de Meuron betreuten sie im vergangenen Jahr den Umbau der heutigen Hotel-Räumlichkeiten. 2012 unterzogen sie bereits Restaurant, Bar, Innenhof und Veranstaltungssäle einer Transformation. An diese Arbeiten konnten sie konzeptionell anknüpfen. Dennoch; ein Hotel zu gestalten ist für Architekten eine spezielle Herausforderung. «Hotelzimmer sind sehr intime Räume, ihre Ausstrahlung und Atmosphäre sind entscheidend für das Wohlbefinden der Gäste. Das erfordert eine besondere Tiefe in den Details und einen gut aufeinander abgestimmten Gleichklang», meint Ascan Mergenthaler und ergänzt: «Architekten neigen ja teilweise dazu, ein bisschen trocken zu sein, etwas zu sperrig und zu wenig atmosphärisch.» Davon ist im Volkshaus tatsächlich nichts zu erkennen. 

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Grounding mit Überraschungen

Mergenthaler, Senior Partner bei Herzog & de Meuron, und Kherad, Associate, sind ein eingespieltes Team. Sie realisierten bereits einige gemeinsame Projekte – unter anderem ein Hotel in New York mit dem Studio-54-Gründer und Boutique-Hotel-Erfinder Ian Schrager. Da ist also viel Erfahrung. Zudem kam dem Volkshaus Yasmin Kherads Liebe zu Innenarchitektur zugute. Die in Hamburg aufgewachsene Halb-Iranerin kann ihr Gespür für Farben, Formen und Materialien bei Herzog & de Meuron immer wieder unter Beweis stellen. Für Ascan Mergenthaler war das Volkshaus Basel das erste Schweizer Projekt seiner Karriere. Zwar kam er bereits 1993 als junger Student aus Stuttgart zu Herzog & de Meuron – und schon damals fiel ihm bei seinen Streifzügen durch die Stadt der fürchterliche Zustand des Volkshauses auf. Er betreute seither aber ausschliesslich internationale Projekte. «In den letzten 20 Jahren war ich beruflich auf der ganzen Welt unterwegs», erzählt er. «Durch die Pandemie bin ich jetzt seit einem Jahr nicht mehr geflogen.» Er fügt allerdings an, dass er das «ehrlich gesagt ganz gut» fände. So jedenfalls hatten er und Yasmin Kherad 2020 viel Zeit, um den Hotelumbau eng zu betreuen. 

 

PLÖTZLICH WAREN WÄNDE TRAGEND, DIE WIR EIGENTLICH RAUSNEHMEN WOLLTEN. Yasmin Kherad

Und das war auch nötig, denn das alte Gebäude barg einige Überraschungen. «Da gab es zum Beispiel Pläne vom Bauarchiv, die nicht identisch waren mit dem, was wir vor Ort vorgefunden haben», berichtet Yasmin Kherad. «So waren dann plötzlich Wände tragend, die wir eigentlich rausnehmen wollten. Zudem wiesen die Decken nicht die Statik auf, die sie gebraucht hätten, und mit dem Abriss der Trennwände kamen Teile vom Boden mit. Anders als in der Bar, der Brasserie und den Veranstaltungsräumen, in denen wir immer wieder zauberhafte Details freilegen konnten, waren die Überraschungen im Hotelbereich eher enttäuschend. Immerhin konnten wir die Fenster erhalten.»

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«Die Kombination macht’s!»

Grundsätzlich arbeiten Herzog & de Meuron immer wieder und gerne mit alter Bausubstanz. «Wir lieben es uns auf Spurensuche zu begeben und genau hinzusehen. Es geht uns darum, das Potential eines Ortes zu erkennen und voll auszuschöpfen und sich dabei auch an dem Gefundenen zu reiben oder davon inspirieren zu lassen», erzählt Ascan Mergenthaler. Beim Hotel im Volkshaus war es zudem von Vorteil, dass die Architekten in Basel zu Hause sind. So hatten sie zum Beispiel die Zeit, ein ganzes Hotelzimmer als Muster in die alte Bausubstanz einzubauen. «Dadurch konnten wir im Vorfeld bereits sehen, ob unsere Ideen funktionieren», so der Architekt. Der Praxistest zeigt: Sie tun es. Die Zimmer legen sich um dich wie eine warme Decke. Es sind zudem Räume, in denen man in Bezug auf harmonische Raumgestaltung, Materialien und Budgetplanung einiges lernen kann. 

 

WIR SIND SEHR KREATIV MIT DEM VORGEGEBENEN BUDGET UMGEGANGEN. Ascan Mergenthaler

«Tatsächlich sind wir sehr kreativ mit dem vorgegebenen Budget umgegangen», verrät Ascan Mergenthaler. «Manchmal haben wir uns für wertvolle Materialien entschieden und gesagt: das leisten wir uns jetzt. Dann wiederum gibt es Bereiche, wo wir mit einfachen Standards arbeiteten. Ein gutes Beispiel ist die Waschtisch-Armatur. Das ist eine Standard-Gastro-Armatur. Aber durch die sehr schöne, von hinten lackierte Glasfläche dahinter wirkt das Ganze wertig. Die Kombination macht’s! Die Holzverkleidung der Nasszellen ist wiederum sehr aufwändig.» Grundsätzlich war es Architekten und Bauherren wichtig, mit dem Hotel etwas zu schaffen, das die nächsten paar Jahrzehnte Bestand hat. Das geht nur mit wertigen Materialien, die gut altern. Daher auch das Credo der Architekten: Ihre Gebäude und Innenräume sollen mit den Jahren schöner werden, allenfalls eine Patina erhalten. 

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Multifunktional, praktisch und überaus hübsch

Ein besonderes Detail ist auch die Tapete. Man muss schon genau hinsehen, um zu erkennen, was da eigentlich an der Wand passiert. Die Darstellung promenierender Menschen im Park ist im Original ein alter Stich mit einer Szene vom Petersplatz. «Die Tapete sollte das Zimmer komplettieren, nicht überfrachten. Sie sollte zeitlos sein, nicht dekorativ oder modisch», erzählt Yasmin Kherad. Mit verschiedenen Techniken wurde das Motiv daher so lange überarbeitet, bis Bauherren und Architekten zufrieden waren. Überhaupt sind die Bauherren für Yasmin Kherad und Ascan Mergenthaler ein wesentlicher Bestandteil des Teams; sie kommen in ihren Erzählungen immer wieder vor. Die Immobilienentwickler und Gastronomieunternehmer Adrian Hagenbach und Leopold Weinberg übernahmen das Volkshaus 2011 und waren massgeblich daran beteiligt, dass das fertige Ganze nun aussieht, wie es aussieht. Auch der Einsatz von eigens von Herzog & de Meuron entworfenen Möbelstücken in den Zimmern geht mit auf sie zurück. 

DIE TAPETE SOLLTE DAS ZIMMER KOMPLETTIEREN, NICHT ÜBERFRACHTEN. Yasmin Kherad

 

«Die beiden wünschten sich in jedem Zimmer einen gemütlichen Lounge Chair», erzählt Ascan Mergenthaler. «Nun hätten wir, da wir uns bei der Raumgestaltung an klassischen Hotelzimmern orientierten, einfach schauen können, was im frühen 20. Jahrhundert so an Möbeln en Vogue war. Aber das wäre uns dann doch etwas zu platt gewesen. Wenn man hingegen etwas Zeitgenössisches nimmt, dann kommt das mit einer gewissen Konnotation daher, die man vielleicht gar nicht will.» Da lag es nahe, mit selbst entworfenen Möbeln zu arbeiten. Um den gewünschten Lounge Chair herum entwickelte sich so eine ganze Möbelfamilie. «Da ist zum Beispiel diese Kofferablage, die in Hotelzimmern immer irgendwie störend ist. Also haben wir den Ottoman zum Lounge Chair entwickelt. Der macht den Stuhl noch etwas gemütlicher, kann aber auch als Kofferablage genutzt werden», erklärt Mergenthaler. «Das Tischchen neben dem Bett ist gleichzeitig ein Hocker. Oft sind in Hotels die Möbel unverrückbar eingebaut. Wir wollten für das Volkshaus aber etwas Lockeres, Offenes und Flexibles haben. Auch den Rahmen um das Bett haben wir übrigens selber gemacht. So wurde sogar das Bett Teil unserer Möbelfamilie – obwohl’s ein Standard-Hotelbett aus dem Katalog ist.», schmunzelt er. 

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Von Ruhe, Harmonie und Heimat

Grundsätzlich spürt man bei den beiden Architekten ganz deutlich die Freude an dem vollendeten Volkshaus-Projekt. Yasmin Kherad schwärmt von der ruhigen Atmosphäre, der Stimmung. Sie weiss genau, in welchem der verschiedenen Zimmer sie in jedem Fall auch einmal übernachten möchte. «In einem Eckzimmer zum Garten hin. Wegen der Platanen im Hof, die im Frühling und Sommer so schön mit dem typischen Volkshaus-Grün harmonieren.» Ascan Mergenthaler hingegen ist ein Fan des Modell-Zimmers - dieses Zimmer, das man durch die Schrankwand betritt. «Der Typus war eine echte Erfindung», meint er, «er ist grosszügig, aber nicht zu gross, hat Klasse, knüpft an den Ort an, der es mal war, ist sehr einfach, nicht übertrieben und trotzdem hat er eine unglaubliche selbstverständliche Schönheit.»

 

Bisher konnten die beiden noch nicht im Volkshaus übernachten. Die grosse Party, die sie zusammen mit den Bauherren im Hotel feiern wollten, ist aufgrund der Pandemie geplatzt. «Aber angestossen haben wir natürlich schon darauf!», lachen sie. Das Hotel konnte unterdessen zwar bereits einige Gäste empfangen, die grosse Eröffnung steht aber noch aus. Und darauf freuen sich nicht nur Architekten und Bauherren, sondern auch das Personal, das die Hotelgäste mindestens ebenso herzlich in Empfang nimmt, wie die Zimmer es tun. Mit weit geöffneten Armen und diesem Duft nach Heimat. 

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