Die Baslerin Lucia Hunziker hat sich mit ihren kunstvollen Porträts von prominenten Persönlichkeiten einen grossen Namen gemacht. Auch ihre private Biografie ist aussergewöhnlich. Als Mann geboren, lebt sie nun seit zwei Jahren als Frau.

Lucia Hunziker, welches Verhältnis haben Sie zum Thema Stolz?

Ein ambivalentes. Einerseits ist es ein schönes Gefühl, zum Beispiel, wenn ich etwas Spezielles geleistet habe. Anderseits ist Erfolg immer etwas, was auch mithilfe anderer wie Familie, Freunde oder Kunden oder durch Voraussetzungen wie Geld oder Glück entsteht.

Sie gehören zu den bekanntesten Fotografinnen in Basel und sind in der ganzen Schweiz sehr gefragt. Wie fühlt sich das an?

Ich bin schon etwas stolz darauf, dass ich es als Quereinsteigerin bis hierher geschafft habe. Die Freude an meinem Beruf ist immer noch die gleiche wie am Anfang. Stolz ist immer ein bisschen wie ein Anfall, er kommt und geht (lacht). Es kommt vor, dass ich zuerst eine Arbeit grossartig finde, aber dann am nächsten Tag denke: Oh, das hätte ich besser machen können.

Ein gutes Porträt ist das Tor zu einer packenden Geschichte, durch das man am liebsten hindurchgehen würde, wenn man könnte.

Sie porträtierten in Ihrem preisgekrönten Fotoband «Basel in Portraits» prominente Baslerinnen und Basler, darunter Roger Federer, im Stil von renommierten Fotografinnen und Fotografen wie Annie Leibovitz, Nadar oder Helmut Newton.

Die Porträts sind eine Hommage an meine grössten Idole. Ausstellung und Buchpublikation waren ein grosser Moment für mich. Sie haben mir persönlich wie beruflich viel gebracht. Nicht unbedingt finanziell, aber ich konnte zahlreiche Kontakte knüpfen und mich in der Sparte Porträt etablieren. Und natürlich war es auch ein besonderes Highlight, dass sich so bekannte Namen bereit erklärt haben, bei meinem ganz persönlichen Projekt mitzumachen.

Wie stolz sind berühmte Menschen eigentlich vor der Linse?

Sagen wir es so: je einflussreicher, desto bescheidener. Die, die Grosses geleistet haben, wissen genau, warum sie dort sind, wo sie sind. Und dass sie auch etwas Glück gehabt haben. Und dann gibt es die Menschen, die für oder von der Medienaufmerksamkeit leben und so ihr Ego boosten. Aber klar: Ich bin auch Teil des Zirkus und kenne diese Manege. So fühle ich mich auch etwas geschmeichelt, wenn über mich berichtet wird (lacht).

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Apropos Medien respektive Social Media: Beeinflussen die Instagram- Ästhetik und die vielen Möglichkeiten für Laien, ein Bild zu optimieren, auch Ihre Arbeit?

Gute Frage. Ich habe eine gewisse Expertise, dafür gibt es eine Nachfrage. Natürlich kann man mein Material auch für Instagram verwenden, was auch gemacht wird. Influencer- Fähigkeiten gehören aber nicht zu meinem Profil, da lasse ich mir von einem Profi helfen. Ich bin eher eine Backstage-Person.

Wenn Sie jemanden vor der Linse anleiten müssten, Stolz zu zeigen, wie würden Sie das machen?

Positiv inszeniert, wäre das ein selbstbewusstes, süffisantes Lächeln mit der Message: «Ich weiss, was ich wert bin, ich weiss, dass ich schön bin.» Den Winkel würde ich subtil von unten ansetzen, damit der Eindruck von Erhabenheit entsteht. Und wenn ich Überheblichkeit darstellen sollte, würde ich die extreme Froschperspektive und ein Weitwinkel wählen, damit die Person wie ein Monument auf den Betrachter herunterblickt.

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Lucia Hunziker, 1981 geboren in Basel, studierte Geschichte und brachte sich das Fotografieren selber bei. 2015 gewann sie für ihr Fotobuch «Basel in Portraits» den Prix de la Photographie Paris für das Best Fine Art Book. 59 Basler Persönlichkeiten wurden im Stil von so berühmten Fotografinnen und Fotografen wie Annie Leibovitz oder Helmut Newton inszeniert und porträtiert, als wären sie selber Zeitzeugen. Hunziker arbeitet an Porträt- und Modeprojekten und realisiert mit ihrer Foto- und Film-Produktions Firma LLH Productions Bildprojekte und Filme für Kunden im In- und Ausland. In der Bildserie «Queer durch Basel», die im Auftrag der Bürgergemeinde der Stadt Basel entstanden ist, inszeniert Lucia Hunziker bekannte Baslerinnen und Basler im facettenreichen Spektrum zwischen maskulin und feminin. Die Ausstellung war bis Anfang dieses Jahres im Stadthaus zu sehen.

Porträts aus der Bildserie «Queer durch Basel»: Tanja Grandits, Sterneköchin, Sascha Rijkeboer, Chef de Bar in Basel und Kolumnistin, Sebastian Kölliker, SP-Grossrat

Seit zwei Jahren leben Sie offiziell als Frau. Sind Sie stolz auf sich, dass Sie diesen Weg gegangen sind?

Ja, das bin ich. Darauf, dass ich den Mut aufgebracht habe, das in meinen Augen sehr grosse Risiko einzugehen, mich zu outen. Das war die grösste bewusste Entscheidung meines Lebens. Ich bereue sie keine Sekunde.

Welche Risiken haben Sie gefürchtet?

Zum Beispiel meinen Status zu verlieren. Ich wusste ja nicht, ob die Kunden die Nase rümpfen und abspringen würden. Aber das war gar nicht so. Im Gegenteil. Wenn ich daher sage, dass ich stolz bin, dann meine ich damit auch, dass ich dankbar bin, dass mir mein Umfeld all dies ermöglicht hat und dass ich einer Stadt leben darf, die liberal ist. Eine der besten Reaktionen auf mein Coming-out stammt von einem Kunden, der nur meinte: «Isch guet. Können wir jetzt weiterarbeiten?»

Am Anfang stellten sich tausend Fragen wie: Werde ich als Frau attraktiv sein, kann mich jemand schön und anziehend finden?

Und da gibt es ja auch die äusserliche Veränderung.

Ja, die schrittweise medizinische Transition ist für mich eine sehr schöne Erfahrung. Die Folgen der Pubertät werden immer sichtbar bleiben, aber die Medizin hat heutzutage viel zu bieten. Ich bin dankbar für diese Möglichkeiten. Am Anfang stellten sich natürlich tausend Fragen wie: Werde ich als Frau attraktiv sein, kann mich jemand schön und anziehend finden?

Gab es einen speziellen Moment, der Sie motivierte, zu sagen: Jetzt möchte ich als Frau leben?

Es gab viele in meinem Leben. Letztlich hat es 36 Jahre gebraucht, um hier anzukommen, wo ich nun stehe. Ich hatte immer das Gefühl, dass etwas in meinem Leben völlig verkehrt läuft, konnte dies aber nicht artikulieren. In meiner Teenagerzeit gab es keine Vorbilder. Man erfuhr höchstens von tragischen Schicksalen. Geht man heute auf Youtube, dann findet man zig positive Geschichten von jungen Trans-Menschen, die offen und selbstbewusst von ihrem Trans-Sein berichten. Ich habe halt etwas länger gebraucht. Aber besser jetzt als nie.

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Menschen können ab und an sehr neugierig sein. Wie gehen Sie mit indiskreten Fragen um?

Ich bin selber auch neugierig. Wenn jemand nett fragt, gebe ich gerne Auskunft. Aber es gibt Grenzen. Ich erinnere mich an einen Anlass in einem Restaurant, wo eine Tischnachbarin, die ich erst seit einer Stunde kannte, sich zu mir rüberbeugte und mit der Frage reinplatzte: «Wann machen Sie die grosse Operation?»

Was haben Sie dieser Person entgegnet?

Dass dies eine Option sei, die ich aber nicht öffentlich erläutern würde, so wie sie wohl auch nicht freiwillig in der Welt herumposaune, wie es bei ihr zwischen den Beinen ausschaue.

Gute Antwort. Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft im Umgang mit Trans-Menschen?

Für die Zukunft wünsche ich mir, dass es wie bei der Homosexualität heute so sein wird, dass man sagt: Ah ok, das ist einfach eine Variante des Seins. Transgender zu sein, ist eine Eigenschaft, die ich mir nicht ausgesucht habe und die für niemanden eine negative Belastung darstellen sollte. Diversität sollte nicht als Bedrohung für die Mehrheit, sondern als eine Bereicherung für eine Gesellschaft betrachtet werden.

Ich fühle mich in Basel sehr wohl. Ich musste nicht flüchten, um frei leben zu können.

Wie erleben Sie persönlich Ihren Alltag als Transgender-Frau?

Da ich meine weibliche Erscheinung nicht übermässig forciere und eher androgyn unterwegs bin, falle ich weniger auf und bin automatisch weniger Zielscheibe für bösartige Kommentare. Ich habe mir mental aber trotzdem eine dicke Haut zugelegt, weil abfällige Äusserungen sehr weh tun können. Aber ich fühle mich wie gesagt sehr aufgehoben in Basel. Im Alltag erlebe ich, dass es den Leuten eigentlich ziemlich egal ist, dass ich transgender bin, sie sehen vielmehr die tausend anderen Aspekte von mir. Das ist natürlich toll.

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Sie haben aber auch erlebt, dass dies nicht immer so ist.

Ich wurde erst kürzlich Opfer von aggressivem Deadnaming, der absichtlichen Ansprache mit meinem alten Namen und Pronomen. Ich wusste mich zu wehren, aber es bleibt unangenehm. Ich habe Trans-Freundinnen, die die Erfahrung machen müssen, dass sie von ihren Familien nicht akzeptiert werden. Oder dass sie ihren Job verlieren. Da hört der Spass wirklich auf. Ich bin selbstständig, habe mit sehr vielen verschiedenen Leuten zu tun und habe glücklicherweise keinen einzigen Kunden verloren. Das liegt wohl auch daran, dass ich mich im Kreativbereich bewege. Wenn man nicht von der Krawatte zum «Deuxpièces»wechseln muss, dann ist es sicher einfacher.

Interview: Irena Ristic

schwarz.wyss Magazin

Diese Geschichte ist im «schwarz.wyss» Magazin der Basler Kantonalbank erschienen. Viele weitere spannende Stories aus dem «schwarz.wyss» entdeckst du auf der Website oder im Magazin.

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Die nächste Ausgabe zum Thema «TRAUM» erscheint im März 2021!

– bkb.ch

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