Eine Umarmung für die junge, polnische Filmemacherin Katarzyna Iskra. Sie bewohnt zurzeit die Basler Filmemacher-Residenz und klärt uns über die hohe Lebensqualität unserer eigenen Stadt auf. Gut aufpassen!

Ausgerechnet am Tag unseres Interviews regnet es in Strömen. Nach vielen Tagen der Hitze kühlt sich die Stadt mit heftigen Gewittern ab. Kein Grund für die junge, polnische Filmemacherin Katarzyna Iskra nicht mit ihrem geliebten Fahrrad im @Café Frühling aufzukreuzen – «jenem Ort der Stadt mit dem besten Kaffee», wie sie findet. Sie schliesst ihr Fahrrad etwas ausserhalb des bereits überfüllten Veloparkplatzes ab – so wie sie es uns Einheimischen abgeguckt hat. Ihren langen beigen Mantel trägt sie heute vermutlich zum ersten Mal, denn ihre bisherige Zeit hier in Basel war vor allem von der Juli-Hitze und zahlreichen Abkühlungen im Rhein geprägt.

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Da die meisten Leute Probleme mit der Aussprache ihres Namens haben, bietet sie uns die in Polen geläufige Kurzform «Kasia» an. Das fällt auch uns leichter. Die weltoffene, herzliche Art der 31-jährigen Filmemacherin nimmt einem sofort ein, ihrer Ausstrahlung und ihrem Charme kann man sich nicht entziehen. Mit ihrem selbstbewussten aber auch geheimnisvollen Auftreten könnte sie locker ein Bond-Girl aus Polen spielen, bei dem man bis zum Schluss des Filmes nicht so richtig weiss, ob sie nun zur guten oder zur bösen Seite gehört.

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Von Warschau über Tel Aviv nach Basel

Es ist nicht das erste Mal, dass Kasia ein Leben ausserhalb ihrer Heimat führt. Nach ihrem Abschluss in Psychologie und Hebräische Wissenschaften an der Universität in Warschau, zog es sie für ihr Filmstudium nach Tel Aviv. Hier machte sie ihre ersten Schritte als Regisseurin und war überzeugt, diesen Weg weiterzuverfolgen. Zurück in Polen setzte sie ihr Filmstudium an der Gdynia Film School fort, wo sie auch erfolgreich ihren Abschluss als angehende Filmregisseurin schaffte. Mit ihrer Abschlussarbeit «Casting» (die du dir hier anschauen kannst) wurde sie an zahlreichen internationalen Filmfestivals in Italien, Mexiko, Polen und den USA ausgezeichnet – was ihr auch den Weg in die Filmemacher-Residenz in Basel ebnen sollte. So traf sie am Film Festival von Einsiedeln auf den Basler Filmemacher Giacun Caduff. Als Kopf und Aushängeschild vom @Filmhaus Basel erzählte er ihr von der neuen Möglichkeit für junge Filmemacher, für ein paar Monate in der Filmemacher-Residenz mitten in der Basler Altstadt im Gerbergässlein einzuziehen, um in Ruhe an eigenen Projekten zu arbeiten. Fernab von der eigenen Heimat. Kasia war sofort begeistert, schliesslich arbeitete sie zurzeit an zwei verschiedenen Filmprojekten, wovon sie uns später noch mehr erzählt. Sie bewarb sich und bekam die Zusage. Basel sollte der nächste Schritt auf ihrer Reise als junge Filmemacherin werden.

«Ich war überrascht, wie gut das Leben hier ist. Die Leute schwimmen im Fluss, sitzen und plantschen im Brunnen oder sind zu jeder Tageszeit mit dem Fahrrad unterwegs.»

Aufgewachsen in den Bergen im Süden Polens fühle sie sich hier, umgeben von der Natur und den Bergen, total wohl und die Landschaft erinnere sie an ihr Zuhause. In Basel habe sie sich sofort verliebt: «Ich war überrascht, wie gut das Leben hier ist. Die Leute schwimmen im Fluss, sitzen und plantschen im Brunnen oder sind zu jeder Tageszeit mit dem Fahrrad unterwegs. Zudem schätze ich die moderne, offene und entspannte Einstellung der Menschen.» Kannte sie zuvor nur die Art Basel, sind es heute Quartiere wie das Gundeli, das St. Johann oder das Matthäus-Quartier im Kleinbasel, die sie begeistern. Hier befindet sich eben auch ihr Lieblings-Café, das Café Frühling, in welches sie uns zum Interview einlädt. Die wunderschönen Altbauten in den ruhigen Quartierstrassen, die direkt zum Rhein führen, haben es der jungen Filmemacherin angetan. Hier könne sie sich definitiv vorzustellen zu leben, schwärmt Kasia und ihre Augen funkeln.

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Es ist vor allem die kompakte Grösse Basels, die sie zu schätzen wisse. Die Möglichkeit, am selben Tag ein renommiertes Museum besuchen, im Rhein schwimmen und Zeit in der Natur auf dem Land verbringen zu können, sei absolut einzigartig. «Du kannst urbanes Stadtfeeling erleben und gleichzeitig in der Natur und stadtnahen Erholungsgebieten sein. Normalerweise muss man zwischen diesen verschiedenen Arten zu leben wählen. Hier ist alles auf kleinstem Raum möglich.» Am liebsten sei sie daher mit ihrem Fahrrad unterwegs, welches ihr Giacun Caduff geliehen hat, und erkunde so die Stadt und die Umgebung. Eine von Kasias Lieblingsrouten führt am Ufer der Wiese entlang in Richtung Riehen bis hin zur @Fondation Beyeler. Es ist genau dieser Mix aus Kultur und Natur, der sie begeistert und ihr Inspiration für ihre Filmprojekte bietet.

Virtuelle Umarmungen

Ach ja, deswegen sei sie ja eigentlich hier, lacht Kasia und sagt stolz: «Ich bin gut im Erkunden von Städten während ich gleichzeitig fokussiert an meinen Projekten arbeite.» Genau darin besteht die Idee hinter der Filmemacher-Residenz des Vereins für die Förderung der Begeisterung am bewegten Bild (VFBbB), welcher nicht nur das alljährliche Gässli Film Festival organisiert, sondern sich ganzjährig für die Förderung junger Filmemacher einsetzt. Das Haus bietet sämtliche technischen Möglichkeiten, die es zur Realisierung eines Filmprojekts braucht. Kasia hat ihren eigenen Schnittplatz, kann bis spät nachts arbeiten und sich danach in ihrem Zimmer kaputt ins Bett fallen lassen. Kurze Wege machen also nicht bloss die Stadt aus, sondern auch die Arbeit im Filmhaus Basel.

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Im Filmhaus Basel arbeitet Kasia momentan an zwei verschiedenen Filmprojekten. An einem Drehbuch für einen Spielfilm, den sie sich auch durchaus vorstellen könnte, in unserer Region zu drehen. «The Crack» soll nämlich in einer ländlichen Gegend spielen. Hier treffen zwei weibliche Kindheitsfreunde aufeinander, die beide eine andere Lebenskrise durchmachen und dadurch einen neuen Zugang zueinander finden. Sie kommen sich näher und machen zusammen Musik. Beim zweiten Filmprojekt handelt es sich um einen Dokumentarfilm mit Virtual Reality-Technik. «Untouched» heisst dieses Projekt, ist bereits abgefilmt und wird nun von Kasia im Filmhaus Basel fertig geschnitten. Die Dokumentation untersucht dabei die Intimität zwischen zweier Menschen. Oder besser gesagt, inwiefern körperliche Nähe, ein Problem in der Beziehung darstellt. «Ich möchte herausfinden, was zwischen zwei Menschen passiert, die sich zwar nahe stehen aber womöglich nicht nahe fühlen.» Um diese Antworten herauszufinden, platzierte Kasia 360-Grad-Kameras zwischen zwei Menschen. Die Kamera filmt dabei alles und nimmt auch akustisch alles auf.

«Ich möchte herausfinden, was zwischen zwei Menschen passiert, die sich zwar nahe stehen aber womöglich nicht nahe fühlen.»

Eine dritte Person kann sich danach eine Virtual Reality-Brille aufsetzen und sich sozusagen in diese körperlichen und emotionalen Spannungen der beiden Menschen hinein begeben und die Gefühle am eigenen Leib erleben. «Meiner Meinung nach ist Sex nicht gleich Intimität und das stellt ein Problem dar», fügt Kasia an. «Die Menschen sehnen sich nach körperlicher Nähe wie einer simplen Umarmung, die auf emotionaler Ebene effektiver ist als Sex. In sogenannten "Cuddling Sessions" bezahlen die Menschen sogar für eine innige Umarmung.» Die Art und Weise, wie Kasia von ihrem Virtual Reality-Filmprojekt erzählt, fasziniert. «Untouched» – diesen Filmtitel müssen wir uns merken, um ihre Arbeit dann später bestaunen zu können. In Zeiten von Social Distancing gewinnt dieses Thema nun noch an zusätzlicher Bedeutung.

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Münsterplatz oder Feldbergstrasse? Am liebsten beides!

Draussen regnet es noch immer. Eine lange Tour auf ihrem geliebten Fahrrad liegt zwar nicht mehr drin, aber das unfreundliche Wetter hindert sie trotzdem nicht daran, ihre aktuelle Heimat weiter zu erkunden. Vielleicht schaut sie noch in der @Allgemeine Lesegesellschaft am Münsterplatz vorbei, wo sie gerne konzentriert an ihrem Drehbuch arbeite. Oder in der Friends-Bar. Ja, die kultige Bar an der Feldbergstrasse habe es ihr angetan: «Hier kannst du jedes Mal andere Leute kennenlernen. Ganz unterschiedliche Menschen mit verschiedenen sozialen und kulturellen Hintergründen. Für mich ein ganz besonderer, einmaliger Ort.»

So unterschiedlich wie die Allgemeine Lesegesellschaft und die Friends-Bar – so unterschiedlich, divers und vielfältig präsentiert sich unsere Stadt der jungen, aufstrebenden Filmemacherin aus Polen. All diese verschiedenen Gesichter, die Basel zu bieten hat – darin liege für Kasia die hohe Lebensqualität der Stadt. Daher liebt sie es, jede freie Minute ihrer Zeit hier in Basel zu nutzen, um ihr aktuelles Zuhause auf eigene Faust zu erkunden und sich dabei inspirieren zu lassen. Sogar bei strömendem Regen.

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Basel inspiriert

In der Serie «Basel inspiriert» werden junge nationale und internationale Filmemacher portraitiert, die jeweils für drei Monate die Filmemacher-Residenz im Gerbergässlein bewohnen. Der Verein für die Förderung der Begeisterung am bewegten Bild (VFBbB), der auch das jährlich stattfindende Gässli Film Festival organisiert, stellt seit 2019 die Räumlichkeiten des Filmhaus Basel jungen Filmemachern zur Verfügung und gibt ihnen die Möglichkeit, Basel als Inspiration und Energiequelle für zukünftige Projekte zu nutzen. Der VFBbB bietet den Künstlern Unterstützung und Hilfestellungen im Arbeitsprozess und stellt sein grosses Netzwerk in der regionalen, nationalen und internationalen Filmszene zur Verfügung. Partnerschaften mit Film Festivals, Sponsoren und Fördervereinen unterstützen und ermöglichen den Aufenthalt der jungen Filmemacher in Basel.

vfbbb.ch