Die deutsche Regisseurin Maria Neheimer bewohnt zurzeit die Basler Filmemacher-Residenz im Gerbergässlein und arbeitet an ihrem Spielfilmdebüt. Mit BaselLive spricht sie über toxische Männlichkeit, starke, unabhängige Frauen – und Hexen.

Eine Gedenktafel, die an die Opfer der Hexenverfolgung in Basel erinnert – vermutlich wissen nur die wenigsten von uns, dass es in unserer Stadt so was gibt. Die aktuelle Bewohnerin der Filmemacher-Residenz im @Filmhaus Basel, Maria Neheimer, jedenfalls wusste es und wollte uns für das Interview über ihre Zeit hier in Basel just an diesem Ort treffen. Und der befindet sich mitten auf der Mittleren Brücke. Das Mahnmal wurde im Frühling 2019 dort angebracht und macht seither auf dieses dunkle Kapitel der Basler Geschichte aufmerksam. Das Treffen mit der jungen, deutschen Filmregisseurin aus Berlin versprach also von Anfang an spannend und besonders zu werden.

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Auf den Spuren der Hexen in Basel

Auf dem Mahnmal steht geschrieben: «Basel gedenkt den Menschen, die in früheren Jahrhunderten der Hexerei bezichtigt, verfolgt, gefoltert und getötet worden sind.». Und weiter heisst es: «Heute ist dies ein Ort, der uns ermahnt, anderen Menschen ohne Vorurteile zu begegnen und sie nicht auszugrenzen.» Letztere Aussage liegt Maria besonders am Herzen – denn so nimmt sie Basel mehrheitlich wahr: «Obwohl die Stadt so alt ist, ist sie trotzdem voll aufgeschlossen, tolerant und politisch. Das find ich inspirierend. Man kann den modernen Geist spüren.»

«Obwohl die Stadt so alt ist, ist sie trotzdem voll aufgeschlossen, tolerant und politisch. Das find ich inspirierend. Man kann den modernen Geist spüren.»

Doch was hat es mit ihrer Faszination für Hexen auf sich? Weshalb war es ihr so wichtig, uns genau bei dieser Gedenktafel auf der Mittleren Brücke zu treffen – und was hat das wohl mit ihr als Regisseurin zu tun? «Die Hexe ist eine Aussenseiterin, sie lebt für sich alleine, ist unabhängig, stellt so ziemlich das Gegenteil von Kapitalismus dar und setzt sich mit der Natur auseinander. Sie ist eine starke Frau, die ihre Kraft aus sich selbst zieht, keine Bestätigung von aussen braucht und Verantwortung für sich und ihre Gemeinschaft übernimmt.» Na bitte, hast du so schon jemals über das Thema Hexen nachgedacht? Vermutlich nicht. Es wird also schnell klar, welche dieser Eigenschaften Maria auch für sich als Regisseurin beansprucht. Eine unabhängige, selbstbewusste Filmemacherin, die weiss, was sie will und kann und eben keine Bestätigung von aussen braucht. Diese Haltung soll auch ihr Spielfilmdebüt einnehmen, wovon sie uns später mehr erzählen wird.

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Von der Schluggstube ins Hobbit-Land

Wir verlassen das Hexen-Mahnmal auf der Mittleren Brücke und kämpfen uns den Rheinsprung hoch in Richtung Münsterplatz. Auf dem Weg dorthin erzählt Maria von ihrem Werdegang und davon, wie sie als Hobby-Fotografin bald ihre Begeisterung am bewegten Bild entdeckte. 1989 in Berlin geboren, absolvierte sie nach ihrer Abitur 2010 verschiedene Praktika im Filmbereich. Nach ersten Gehversuchen als Regisseurin von Musik- und Imagevideos begann sie 2012 ihr Filmstudium, welches sie in Berlin begann und in Hamburg als Regisseurin abschliessen sollte. In dieser Zeit entstanden zahlreiche fiktionale, sowie dokumentarische Kurzfilme. Nun soll ihr erster Spielfilm folgen. Ein Grossprojekt, für welches sie nach Basel kommen wollte, um im Filmhaus des Vereins für die Förderung der Begeisterung am bewegten Bild (VFBbB) daran zu arbeiten. In der Filmmacher-Residenz im lauschigen Gerbergässlein stehen ihr verschiedene Produktionsplätze zur Verfügung, sie erhält professionelle Unterstützung, kann die familiäre Gesellschaft des Filmhaus-Teams geniessen oder sich in ihr Zimmer zurückziehen, wenn sie Ruhe braucht.

«Ich war aber auch öfters in der Schluggstube – ein sehr kurioser und lustiger Ort.»

Basel, ihre aktuelle Heimat, erlebte Maria dabei in ganz unterschiedlichen (Pandemie-)Phasen. Als sie im September ins Filmhaus einzog, konnte sie noch bei 30 Grad im Rhein schwimmen gehen und die Nächte in Bars verbringen. «Ich war abends viel unterwegs, beispielsweise im @Renée oder im @Rouine. Ich war aber auch öfters in der Schluggstube – ein sehr kurioser und lustiger Ort», erzählt Maria und muss lachen. Die Schluggstube, das ist wahrlich ein echtes Basler Original und Garant für unvergessliche Trink-Nächte und überraschende Bekanntschaften – nicht nur während der Fasnacht. «Tagsüber mag ich dagegen die gemütliche und ungezwungene Atmosphäre im @Finkmüller – Coffee & Fine Goods | Klybeckstrasse oder im @unternehmen mitte.» Mittlerweile muss sie auch auf diese einzigartigen gastronomischen Angebote der Stadt wieder verzichten.

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Einem Ausflug in die Natur steht aber zum Glück nichts im Wege. Die Wiesendamm-Promenade durch die Langen Erlen, von Kleinhüningen über Riehen bis zur Deutschen Grenze, hat es ihr besonders angetan: «Das ist voll das Hobbit-Land, diese Hügellandschaft, total märchenhaft», schwärmt Maria und fügt an. «Die Lebensqualität in Basel ist einfach krass hoch. Dass Natur und Kultur so nahe beieinander liegen, ist extrem wertvoll. Alles ist so kompakt, du kannst viele interessante Menschen treffen, dich aber auch zurückziehen und die Ruhe geniessen. Ich gehe beispielsweise jeden Tag nach getaner Arbeit an meinem Spielfilmdebüt am Rhein spazieren, um meine Gedanken und Ideen zu sortieren.»

«Die Lebensqualität in Basel ist einfach krass hoch. Dass Natur und Kultur so nahe beieinander liegen, ist extrem wertvoll.»

Unser Stadtspaziergang führt uns dagegen über den Münsterplatz und die Pfalz – diese Orte haben in den Wintermonaten aufgrund der dominierenden, grau-braunen, kalten Farbtöne der kahlen Bäume und der Münsterkirche eine beinahe mystische Wirkung.

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Ein Spielfilmdebüt, das es in sich hat

Diese mystische Atmosphäre würde sich ja eigentlich ganz gut für einen Film über die Hexenverfolgung in Basel eignen. Doch Maria dementiert: «Nein, ich beschäftige mich zwar gerne und intensiv mit Hexen, doch für meinen ersten Spielfilm möchte ich was anderes machen.» Da wäre nämlich noch ein weiteres Thema, welches Maria unter den Nägeln brennt: «In meinem Spielfilmdebüt soll's um toxische Männlichkeit in linken Kreisen gehen. Das umfasst sexistisches Verhalten, die Angst, Gefühle zu zeigen, es geht um sexuelle Übergrifflichkeiten, sowie um Mansplaining. Darunter versteht man die Annahme des Mannes, er wisse besser über das jeweilige Gesprächsthema Bescheid als sein weibliches Gegenüber, was folglich zu herablassenden Erklärungen an die Adresse der Frau führt.» Das Thema der toxischen Männlichkeit möchte Maria in linken Kreisen untersuchen, da sich gerade dieser Teil der Gesellschaft bei Geschlechterfragen ja eigentlich gerne als unvoreingenommen, modern und vorurteilsfrei zeigt.

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Unser Interesse hat Maria schon mal geweckt. Währenddem wir uns in die Schlange vor dem Riesenrad stellen, verrät uns Maria noch etwas mehr von ihrem Filmprojekt. «Hauptfigur ist ein Mann, der sich toxisch verhält. Er beobachtet eine Vergewaltigung in einem Partykontext und schützt dabei seinen Freund, indem er nicht gegen ihn aussagt. Denn er weiss, dass er sich selbst auch nicht immer korrekt verhält. Dieses gegenseitige Schützen, diese Verweigerung, Verantwortung für seine Taten zu übernehmen, soll mein Film zum Thema machen.» Wir sind überzeugt, Marias Film würde die Aufmerksamkeit der Kinobesucher auf sich ziehen und den Nerv der Zeit treffen.

«Die Hexe ist eine starke Frau, die ihre Kraft aus sich selbst zieht, keine Bestätigung von aussen braucht und Verantwortung für sich und ihre Gemeinschaft übernimmt.»

Das Thema der toxischen Männlichkeit impliziert gleichzeitig das Bild der starken Frau, welche ihr Selbstbewusstsein nicht von anderen abhängig macht. Was uns nun also doch wieder zurück zu Marias Faszination für das Rollenbild der Hexe bringt. Wie hat sie dies nochmals beschreiben? «Sie ist eine starke Frau, die ihre Kraft aus sich selbst zieht, keine Bestätigung von aussen braucht und Verantwortung für sich und ihre Gemeinschaft übernimmt.» Es sind also diese Eigenschaften, für welche Maria als Frau und Regisseurin einstehen und in ihr Spielfilmdebüt einfliessen lassen möchte.

Ein Aufenthalt zu einer ungewöhnlichen Zeit

Recherche, Konzepterstellung, Herausarbeiten der Filmcharaktere, Suchen nach Produzenten – es bedarf noch einiger Schritte, bis dieses Filmprojekt realisiert werden kann. Ihre Zeit hier im Filmhaus Basel nutzt Maria, an all diesen Teilschritten fokussiert zu arbeiten. Inspiriert von einer Stadt, die sie in einer Ausnahmesituation erwischt, wie sie aussergewöhnlicher nicht sein könnte. Doch ungewöhnliche Zeiten rufen manchmal die besten und kreativsten Ideen hervor.

Und wo sonst kann man sich besser für ein paar Minuten aus dem Corona-Trubel ausklinken und aus gesunder Distanz über die gesamte Stadt blicken, derer Schönheit keine Pandemie der Welt was antun kann. «Seitdem das Riesenrad steht, wollte ich immer schon drauf!», schwärmt Maria und geniesst die Aussicht über ihre aktuelle Heimat, deren Kulturangebot sie in ihren letzten Tagen in Basel nochmals voll auskosten möchte: «Auf meiner Liste stehen noch die @Kunsthalle, die @Fondation Beyeler, sowie das @Historisches Museum Basel – Barfüsserkirche, um mich vertieft mit der Geschichte Basels zu beschäftigen.» Über einen Teil unserer Geschichte dürfte sie sich allerdings besser auskennen, als so mancher Basler Historiker: die Verfolgung der Hexen – und das starke Frauenbild dahinter.

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Basel inspiriert

In der Serie «Basel inspiriert» werden junge nationale und internationale Filmemacher portraitiert, die jeweils für drei Monate die Filmemacher-Residenz im Gerbergässlein bewohnen. Der Verein für die Förderung der Begeisterung am bewegten Bild (VFBbB), der auch das jährlich stattfindende Gässli Film Festival organisiert, stellt seit 2019 die Räumlichkeiten des Filmhaus Basel jungen Filmemachern zur Verfügung und gibt ihnen die Möglichkeit, Basel als Inspiration und Energiequelle für zukünftige Projekte zu nutzen. Der VFBbB bietet den Künstlern Unterstützung und Hilfestellungen im Arbeitsprozess und stellt sein grosses Netzwerk in der regionalen, nationalen und internationalen Filmszene zur Verfügung. Partnerschaften mit Film Festivals, Sponsoren und Fördervereinen unterstützen und ermöglichen den Aufenthalt der jungen Filmemacher in Basel.

vfbbb.ch