«Der Zufall ist die in Schleier gehüllte Notwendigkeit.» Dieses wunderschöne Zitat von Marie von Ebner-Eschenbach trifft perfekt auf den Basler Schriftsteller und Künstler Jean Willi zu.
Seit 45 Jahren lebt er bereits auf der sagenumwobenen Insel Ibiza. Anfänglich noch mit Unterbrüchen und Reisen zurück in die Schweiz sowie Gelegenheitsjob in Werbeagenturen und Laternenmalen, die soviel einbrachten, dass er jeweils ein halbes Jahr länger auf der Insel leben konnte.
«Weshalb Ibiza?», möchte ich von Jean wissen. In seinen Augen sei dies purer Zufall. Auf der Rückreise einer Saharadurchquerung, die im Senegal endete, und bei einem Zwischenstopp auf Gran Canaria meinte seine damalige Freundin, dass sie noch einige Zeit auf Ibiza verbringen sollten. Die Häuser und das Leben waren damals billig und auch mit einem Hund habe man keine Probleme gehabt. Als absoluter Italien-Fan war es für Jean zwar nicht ganz logisch, längere Zeit in Spanien zu verbringen, aber Eivissa, wie der ursprüngliche Name der Insel lautet, war, wie sie bald feststellten, nicht wirklich spanisch.
«Einmal im Jahr sicher: meistens Um den Fasnachtsdienstag, an dem ich mich gerne auf dem Münsterplatz und im Schafeck herumtreibe. Oder aber die Reise nach basel fällt auf die Herbstmesse, an der ich gerne über den Peti spaziere, Freunde treffe, nostalgisch werde – was ich ein paar Tage später beim üblichen Schlenker über Paris weiter ausleben kann.»
Zu Beginn wohnten sie einen Monat in einem Hotel. Danach mieteten sie ein Häuschen im La Peña-Viertel in Ibiza Stadt, welches sie aufgaben, als es durchs Dach regnete. Sie zogen aufs Land, ein paar Kilometer weiter, in Richtung San José. Jean roch zum ersten Mal in der Sonne duftenden Rosmarin ... Nach einem halben Jahr betrachteten sie ihre Reise als beendet und kamen zurück in die Schweiz. Sein Versuch, anlässlich eines WKs dienstfrei zu werden, misslang, worauf ein Bekannter fragte, weshalb sie nicht einfach wieder retour auf die Insel gingen. Genau dies taten sie und mieteten eine Finca in der Nähe von San Juan mit einem Orangenhain. Winter in mediterranen Gefilden können zur Probe werden, denn das Haus war zu gross und vor allen Dingen nicht heizbar. Sie suchten und fanden ein kleines Steinhaus in den Bergen von Santa Ines. Dort lebte Jean rund 30 Jahre und wohnt auch heute noch in derselben Gegend.
«Du bist Schriftsteller, wie viele Bücher hast du hier schon geschrieben?», möchte ich von Jean wissen. Ziemlich bescheiden antwortete er mir: «Laut Wikipedia sind es rund sieben Bücher, Anthologien und Essays nicht einberechnet. Das letzte ist ein in der Edition Patrick Frey erschienenes Fotobuch mit Steinen, in denen man Gesichter sehen soll.»
«Welches ist dein letztes Werk, bei welchem Du Dich von der Insel inspirieren lassen hast?», möchte ich wissen. «Ödipus im Hier und Jetzt.» Es sei eine Story, welche den Bogen von Basel über Griechenland, Orte in Hessen, Genf und vor allem Mallorca schlägt. Die auf Ibiza spielenden Protagonisten habe er nach Mallorca "transportiert“, um Distanz zu schaffen und mögliche Erkennungsmomente auszuschliessen. Die Charaktere, die Landschaften, sowie die ganze Aussteigerszene, wie auch weitere Details treffen allerdings auf die Insel zu, welche er kennt und sein Zuhause nennt.
«Du bist aber auch Künstler, was machst du für Werke?», frage ich Jean. «Im Laufe der Zeit habe ich viele Stile durchgearbeitet. Seit ein paar Jahren entstehen abstrakte Malereien, meistens Kleinformate, in denen viele Betrachter die Dinge sehen und entdecken, auf die ich mit meinem Steinbuch hingewiesen habe.» Ein selbstbewussterer Jean fügt sogleich hinzu: «Immerhin habe ich es auf die alten Tage geschafft, ein paar dieser Werke im Museum für Moderne Kunst von Ibiza unterzubringen. Das Museum geht neben modernen Werken auch auf die Sechziger- und Siebzigerjahre ein, die Zeit, als sich Ibiza einen gewissen Namen gemacht hat. Wie der deutsche Maler Erwin Bechtold, auch Wahl-Ibicenco einmal sagte: Hier kannst du wunderbar arbeiten, kein Mensch interessiert sich dafür, was du tust oder stört dich dabei», erzählt mir Jean mit einem Schmunzeln.
«Wie verhält es sich mit dem Kontakt zu anderen Wahl-Ibicencos? Pflegst du diesen vor allen Dingen mit anderen Schweizern?», möchte ich von Jean wissen. «Die Mehrheit dieser Kontakte sind nicht unbedingt Schweizer. Ich kenne glaube ich mehr Holländer als Schweizer, vor allem aber mehr Deutsche, Franzosen und Menschen aus anderen Ländern. Unter den Schweizern befinden sich allerdings einige meiner besten Freunde. Freunde, die neben anderen Gründen auch wegen mir hierherkamen, auch wenn sie nicht immer das ganze Jahr hier leben. Wie beispielsweise die ebenfalls Kreativen, das Werber-Ehepaar Erika und Edi Andrist und das Schriftsteller-Ehepaar Margrith Nay Suter und Martin Suter.»
Natürlich warte ich auch mit der klassischen Frage auf: «Wie oft kommst du in die Schweiz?» «Einmal im Jahr sicher. Meistens fällt dies auf den Fasnachtsdienstag, an dem ich mich gerne auf dem Münsterplatz und im Schafeck herumtreibe. Oder aber die Reise fällt auf die Herbstmesse, an der ich gerne über den Peti spaziere, Freunde treffe, nostalgisch werde – was ich ein paar Tage später bei meinem üblichen Schlenker über Paris weiter ausleben kann», schwärmt Jean.
«Hast Du Dir in all diesen Jahren, aus was für Gründen auch immer, überlegt, wieder in die Schweiz zu ziehen?», frage ich Jean. Der Gedanke sei sicher gelegentlich aufgetaucht, und zu Beginn der 80er Jahre versuchte er eine kurze Zeit lang, auf dem Festland Fuss zu fassen. Er kehrte reumütig auf die Insel zurück und fasste sich folgenden Vorsatz: «Was auch immer man hier verschandelt, wie viele Autobahnen noch gebaut werden sollen – ich will das nicht jedes Mal hinterfragen und nehme mir vor, Gedanken an ein Fortgehen von vornherein auszuschliessen und diese Insel als mein ewiges Basislager zu betrachten. Deshalb nein, bislang gibt es keine Überlegungen, in die Schweiz zurückzukehren.»
«Nach über vier Jahrzehnten Erfahrung möchte ich natürlich wissen, ob dir immer noch frappierende Unterschiede zwischen der Schweiz und deinem Basislager auffallen?», frage ich Jean. «Mit der Beantwortung dieser Frage kann man sich auch schön in die Nesseln setzen – einmal ging ich im Gundeli zu einer Vernissage und hatte eine Tüte Marroni bei mir. Als sie leer war, sah ich mich nach etwas um, wo ich die zusammengeknüllte Papiertüte entsorgen könnte, und kam zu einem Bauschutt-Container. Mein Papierknüngel war noch nicht ganz in der Wanne angekommen, als aus einem der Fenster gegenüber ein Geheul losging, was mir einfiele, meinen Scheissdreck hier einfach wegzuwerfen und so weiter», erzählt mir Jean. «Ich meine, diese Begebenheit spricht für ein paar Dinge, wodurch sich meiner Ansicht nach Schweizer von Spaniern unterscheiden. In Spanien wird man weniger überwacht und auf Dinge hingewiesen, die man nicht braucht. Ich weiss noch, wie mir schon früh auffiel, was kleine Kinder hier dürfen, vor allem auch, wenn es bereits dunkel wird und die Kleinen draussen spielen. Ich glaube, dass mir die mediterrane Mentalität irgendwie entgegenkommt, ohne sie in diesem Zusammenhang werten zu wollen. Erst viel später habe ich dazu Albert Camus gelesen», fügt er weiter hinzu.
«Zu guter Letzt möchte ich gerne von dir wissen, was du jedem auf den Weg geben kannst, welcher auch auswandern möchte?», frage ich Jean. «Vor allem, dass man es tun soll, wenn einem danach steht. Ich erinnere mich an Kneipengespräche in Basel, bei denen es vor allem darum ging, alles ganz schrecklich zu finden, was sich in dieser Stadt (in der man aus eigenem Willen lebte) abspielte. Ich kam ja auf die Insel, wie die Jungfrau zum Kind. Hatte nie den Wunsch auszuwandern (ich hatte mir für meine Reise durch Afrika ein Jahr Ferien im Geschäft erbeten und die Zusicherung, meinen Job wiederzuhaben, wenn ich zurückkam, das ging damals noch). Dass man an einem Ort hängenbleibt und das Gefühl hat, hier will ich leben, ist vielleicht die beste Voraussetzung, auszuwandern. Die Vorstellung, sich ein Ziel vorzunehmen, aus welchen exotischen oder beruflichen Gründen auch immer, und alle Zelte hinter sich abzubrechen, scheint mir riskant. Die Gefahr, Sklave einer Idee zu werden, ist immer gegeben», antwortet mir Jean sehr ehrlich und schön zuletzt.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei Jean für seine ausführlichen und spannenden Worte!
Bilder: Jean Willi