Sie ist 26 Jahre jung, seit bald acht Jahren selbstständig und hat die Corona-Krise bisher mit Bravour gemeistert. Obwohl sie das viel Geduld und Durchhaltevermögen gekostet hat: Die Basler Schneiderin Tanja Oehl musste sich, wie viele andere Kreative, neu kennenlernen und erfinden.

Ja, was macht man denn, wenn die Leute plötzlich nur noch zu Hause hocken und der schicke Restau­rantbesuch zum Wunschdenken wird? Von einer noblen Veranstaltung ganz zu schweigen. «Niemand braucht schöne Kleidung, wenn er im Homeoffice sitzt», musste auch Tanja erfahren. Und dann war da auch noch die abgesagte Fasnacht. Normalerweise produzieren die vier Schneiderin­nen vom Atelier Couture Stilvoll an der Elisabethen­strasse 15 jährlich rund 400 Kostüme für insgesamt fünf Cliquen. «Durch den Ausfall verloren wir 50 Prozent unseres Umsatzes.»

FÜR MICH WAR DAS MASKENNÄHEN DIE RETTUNG IN DER NOT! Tanja Oehl

Doch anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, wurde Tanja Oehl erfinderisch. 2020 war sie eine der Ersten, die mit dem Nähen von Stoffmaskenbegann. Eine Aktion, die nicht nur auf positiv gestimmte Gemüter stiess: «Vor allem auf Social Media regnete es immer wieder Kommentare, die mir vorwarfen, ich würde die Situation ausnutzen und mich gar daran bereichern. Doch ohne Masken hätte ich gar kein Einkommen gehabt. Für mich war das Maskennähen definitiv die Rettung in der Not!»

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Dass sie einmal Schneiderin werden möchte, war Tanja Oehl bereits im Alter von zehn Jahren klar. Damals nähte sie auf ihrer ersten eigenen Nähma­schine hauptsächlich Zubehör für ihren geliebten Vierbeiner: «Als eine Bekannte von mir meine selbstgenähten Hundebettchen dann zu verkaufen begann, wusste ich: Das ist mein Beruf!» Nach der Lehre hat sie sich direkt selbstständig gemacht, nebenbei 100 Prozent im Stoffladen gearbeitet, um sich alles aufzubauen. Nach diversen Zwischensta­tionen ist sie heute stolze Chefin eines eigenen Ateliers an der Elisabethenstrasse.

Neben Fasnachtskostümen und Hygienemasken zählen unter anderem Flickarbeiten und Neuanferti­gungen zu den heutigen Kernkompetenzen des Ateliers Couture Stilvoll. «Die eigenen Kreationen bereiten natürlich am meisten Freude. Letztes Jahr durfte ich beispielsweise ein Hochzeitskleid kom­plett aus Spitze nähen. Das war definitiv ein High­light!» Auch die Hunde gehören seit 2020 zur Stammkundschaft von Tanja Oehl: «Herzenshund» ist ein Resultat der Corona­-Krise. «Wieso nicht darauf aufbauen, womit ich ursprünglich angefan­gen habe?», hat sie sich gedacht. Und näht heute neben Hundebettchen unter anderem auch kleine Mäntel für die Haustiere. Von Hand, selbstverständ­lich – wie alles bei Couture Stilvoll, denn Tanja legt Wert auf Qualität und Tradition. Sämtliche Stoffe stammen aus Europa, hauptsächlich aus der Schweiz, Italien und Deutschland. Das Atelier­-Mobi­liar stand vorher in Brockenstuben. «Besonders vernarrt bin ich ausserdem in meine über 100­-jähri­ge Strickmaschine», erzählt Tanja mit leuchtenden Augen.

Es erfüllt mich sehr, wenn ich sehe, dass meine Kunden Freude haben und den Laden glücklich verlassen!

Die junge Businessfrau ist stolz, die Corona­-Krise bisher überstanden zu haben. Sie erlebt nämlich immer wieder, wie die Selbstständigkeit unterschätzt wird: «Oft kommen Leute zu mir und meinen: Oh cool, du bist dein eigener Chef und hast viele

Freiheiten!» Der ganze Aufwand und das Herzblut, das dahintersteckt, sei für die meisten jedoch nicht ersichtlich. «Ich habe mir im letzten Jahr persönlich sehr viele Gedanken gemacht und realisiert, dass ich – egal, wie schlimm die Umstände auch sein mögen – gar nicht mehr ohne mein Atelier leben könnte!» Klar ist für sie ebenfalls, wie das Sujet der nächsten Fasnacht aussehen soll: «Fröhlich, farbig – eins, das nichts mit Corona am Hut hat», lacht sie, bevor sie sich wieder an ihre Nähmaschine setzt. Und tut, was sie besonders gut kann: Arbeiten – und zwar im Vorwärtsstich.

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Wie Tanja Oehl persönlich mit der Corona-Krise umgeht und wo sie Inspiration findet? Wir haben nachgefragt.

Noch nie haben wir so viel Zeit zu Hause verbracht wie jetzt. Was bedeutet Heimat für dich?

Meine Familie, mein Partner und meine engsten Freunde. Und unser kleiner Vierbeiner natürlich. Ich bin niemand, der zu Hause rumsitzt und es geniesst, jetzt mal weniger machen zu müssen. Drum bin ich sehr dankbar, dass ich arbeiten darf. Es erfüllt mich, wenn viel Arbeit da ist und ich nähen kann.

Nähst du dir auch eigene Accessoires wie Kissen, damit du dich zu Hause wohlfühlst?

Nein, Wohnaccessoires kaufe ich alle ein. Nicht weil ich keine Lust hätte, zu Hause noch zu nähen, sondern weil ich mich verzetteln würde – die Optionen sind einfach zu zahlreich! Ich habe Mühe, Entscheidungen zu fällen und bin entsprechend froh, mich nicht selbst als Kundin zu haben. Das würde ziemlich kompliziert.

Was schätzt du an Basel besonders?

Die Altstadt. Überhaupt das Traditionelle! In Basel gibt es noch immer viel Raum für Bräuche. Ich selbst bin beispielsweise im Vorstand der Schneiderzunft. Und nähe Kleider für den Riehener Trachtenverein.

Wo gehst du am liebsten spazieren?

Beim Münster und den Rheinsprung hinunter – so ein gemütlicher und entspannter Ort!

Auf welche Beiz freust du dich ganz besonders?

Im Sommer bin ich gerne auf der Dachterasse vom Viertel. Und natürlich freue ich mich auf den neuen Hinterhof unseres Zunftlokals, den Löwenzorn.

Wo findest du Inspiration?

Bei mir passiert alles immer sehr spontan. Beim Kleiderbügeln kommen mir allerdings immer viele Ideen. Oder beim Rennradfahren, da habe ich meinen Kopf schön frei und kann viel überlegen.

Worauf achtest du beim persönlichen Kleiderkauf besonders?

Auf die Verarbeitung und die Stoffqualität. Wenn ich etwas anfasse, das klebrig-synthetisch ist, hat es schon verloren. Ich nähe übrigens, abgesehen von einzelnen Sommerröcken, kaum eigene Kleider. Es sei denn, es steht beispielsweise eine Hochzeit an. Da wird es fast schon erwartet, dass ich in einer Eigenkreation aufkreuze.