«Tschou zämmä, Meitschi u Giue!»: Et voilà, da ist er endlich – Chris von Rohr, wie man ihn aus dem Fernsehen kennt. Wie er leibt und lebt.
Wir haben den Produzenten und Bassisten der erfolgreichsten Schweizer Rockband, Krokus, gemeinsam mit Sänger Marc Storace in der Schreinerei Warteck zum Interview getroffen. Der Grund: Krokus wird am 31. Oktober die Bühne der Baloise Session zum Kochen bringen.
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Auch heute ist es heiss. Trotzdem verzichten die beiden auf das kühle Wilde Maa Cider, das ihnen Nino Crimi, Brauer und Schreinerei-Besitzer, anbietet. Marc muss noch Autofahren und Chris trifft sich später mit Freunden zum Fussballspiel – «Alk gibt es bei mir erst nach Mitternacht.»
Er greift drum lieber zu seiner mitgebrachten Wasserflasche: «Drei Liter täglich, habe ich kürzlich wieder gelernt!»
So seriös, die zwei. Aber mit 67 Jahren nicht etwa langweilig, sondern echt unglaublich gueti Giue!
Warum? Am besten liest du selbst:
Was poppt als Erstes in eurem Kopf auf, wenn ihr an Basel denkt?
Chris: LSD, Zolli, Chemie – und chli Basler Läckerli obedruff. Ah, und ganz klar: Herzog & de Meuron, zwei überirdische Architekten!
Marc: Ich wohne in Oberwil und bin ein grosser Fan von Basel – verabrede mich hier gerne fürs Kino oder zum Shoppen. Zudem kennen mich die Leute in Basel. (lacht)
Mit welchem Basler oder welcher Baslerin würdet ihr gerne einen Whisky trinken?
M: Tinguely. Aber der lebt ja leider nicht mehr.
C: Ich war ein Fan von René C. Jäggi. Trotzdem ist für mich der Fall klar: HDM. Vor diesen zwei Dudes ziehe ich mein Kopftuch!
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Am 31. Oktober rockt ihr an der Baloise Session die Halloween-Nacht. Mit welchen Gefühlen geht ihr an diesen Gig?
C: In Basel gibt’s nichts Besseres als die Baloise Session! Zuerst dachte ich: Kerzli, Tischli, Lämpli – was isch jetzt das wieder? Doch dann wurde mir klar: Die Stimmung macht’s aus! Und näher ans Publikum kommst du sonst kaum wo.
Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass die «drümmligen laid-back» Basler die Chance nutzen, an unser Rockfest zu kommen. (lacht) Was dich erwartet? «In-your-face-Röck’n’Röll» – und zwar von Sekunde eins an.
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Basel ist nur ein kurzer Halt auf eurer Abschiedstournee «Adios Amigos». Welche Gefühle kommen beim Gedanken an den Schlussstrich hoch?
M: Für Trauer gibt es bisher noch nicht wirklich Platz. Wir konzentrieren uns lieber auf die aktuelle Tour, geniessen und leben sie.
C: Es wird wohl so, wie wenn du dich von fünf Frauen gleichzeitig trennst, Ehe-Aus! Aber wir haben zum Glück no chli Sperrfrist.
Was war euer persönliches Karriere-Highlight?
M: Der Erfolg mit «Headhunter» – mit dem Album erreichten wir Platz 15 der amerikanischen Billboard Charts. Das ist schon was Einmaliges! Mein persönlich grösstes Highlight aber war, dass ich überhaupt zu Krokus stossen durfte.
C: Für mich bahnbrechend war die shaky Anfangszeit, die wir gemeinsam so unermüdlich gemeistert haben. Jeder Beginn ist hart: dieser Kampf, diese Zweifel und Fragen – bis es dann plötzlich passiert: zuerst ein Telefon aus England, dann aus den USA …
Ein weiterer Höhepunkt war ganz klar das Comeback im Jahr 2008: Dass wir es heute noch schaffen, nach 20 Jahren Streit und unnötigem Bullshit, mit dieser Band ein Hallenstadion zu füllen oder in Wacken vor 75’000 Leuten zu überzeugen, hätte glaub niemand von uns erwartet. Ich bin echt demütig und dankbar, dass wir dieses tief gesunkene Schiff nochmals hochbringen konnten, und wir nach so vielen Jahren noch derartige Highlights, auch menschlicher Natur, zusammen erleben dürfen!
Gibt es eine Entscheidung in eurer Karriere, die ihr im Nachhinein gerne rückgängig machen würdet?
C: Der Split in den 80-er Jahren stellte sich rückblickend als fataler Fehler heraus. Das sehen heute alle Bandmitglieder so. Trotzdem hat alles seinen Grund. Vielleicht würden wir ohne diese Trennung heute nicht hier stehen?
Was fasziniert euch heute am meisten, oder stimmt euch besonders dankbar?
M: Dass wir im Alter von bald 70 überhaupt noch musikalisch unterwegs sein können. Und wie! Ich kann es noch immer kaum glauben: Beim kürzlichen Konzert in Wacken haben wir mit 75’000 Leuten im Publikum abgerockt! Und wir hatten zu Beginn wirklich Zweifel, gäll Chris?! Wussten nicht genau, welche Songs wir für diese Metalheads spielen sollten …
C: Wir haben es tatsächlich geschafft, die grossen Bühnen wieder zu dominieren. Und zwar noch besser als früher. Denn heute bringen wir eine gewisse Erfahrung und Gelassenheit mit uns. Der Vorteil einer langen Karriere. Wir proben aber auch mehr als früher.
Die grösste Faszination liegt für mich aber nach wie vor in der Liebe zu dieser Musik, welche wir heute mit noch mehr Soul, Energie und Wissen spielen. Das ist gewaltig!
Als Produzent der Band bin ich zudem extrem dankbar dafür, dass Marc’s aussergewöhnliche Stimme noch immer so gut einsetzbar ist und funktioniert. Das ist alles andere als selbstverständlich!
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Worin seht ihr die Vor- und Nachteile vom heutigen, digital-orientierten, Musikbusiness?
C: Ich empfinde die Entwicklung vor allem für jüngere Bands als problematisch. Legendäre, bereits renommierte Musiker werden aufgrund ihres Namens gebucht. Mit Krokus und Gotthard haben wir damals alleine in der Schweiz pro CD 100’000 bis 250’000 Einheiten verkauft – das war konkretes Geld! Eine junge Band hingegen kann heute nicht mehr vom CD-Verkauf leben.
Als junger Musiker musst du drum echt auffallen. Und vor allem live unglaublich stark sein!
Läck, wenn ich mir vorstelle, dass wir nochmals von vorne beginnen müssten … wir müssten uns echt was einfallen lassen! Mal ehrlich: Als wir begonnen haben, war die Konkurrenz nicht so immens und der Hunger grösser.
Ich vermisse heute junge Bands, die uns den Arsch versohlen – die vor uns auf die Bühne gehen und sagen: «Weisch was, dir autä Säck, jetzt rocke mir üch mou churz a d'Wand!» Ich sehe keine einzige fucking Band, die das hinkriegt. Und das meine ich überhaupt nicht überheblich. Es fehlt die Dringlichkeit. Heute herrscht einfach ein gesättigter Zeitgeist: In unserer digitalisierten Welt werden immer mehr Laptops anstatt Gitarren gekauft. Die aktuellen Popsternchen kaufen nicht mal ihre Kleidung selbst.
Du triffst selten jemanden, der den Rock’n’Roll so interpretiert, als ginge es um Leben und Tod – jemand, der beim Spielen sein ganzes Leben in die Waagschale wirft. So sieht's aus!
Unsere Zeit war ganz klar eine andere; die Musik eine Revolution: «I can’t get no satisfaction» hat damals noch was bedeutet!
Was liebt ihr an eurem Job am meisten?
C: Mein Job ist Chris von Rohr – der schönste Job der Welt. Ich werde für das bezahlt, was ich am liebsten mache. Hallo!? Und wenn wir gemeinsam auf der Bühne spielen, ist das pure Power-Magie. Ich kenne kein geileres Erlebnis!
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Chris, du hast in einem Interview mal gesagt: «We keep it as Krokus as possible». Wofür steht dieser Superlativ?
C: Chäs und Brot-Musik! (lacht) Das Rezept ist relativ einfach: strong riffs, strong voice, strong song. «As Krokus as possible» bedeutet, dass wir die Rockmusik nicht ständig neu erfinden wollen. Das sollen von mir aus andere tun.
Wir bleiben unserer Rezeptur treu. Und zwar nicht, weil wir eine Strategie verfolgen, sondern weil wir gerne so spielen. Was hätten wir davon, wenn wir während des Konzerts ständig aufs Griffbrett gaffen müssten? Ich schaue viel lieber die Frauen, die Crowd vor uns an! Bei komplizierterer Musik wird das schwierig.
Wie sieht ein perfekter Alltag in euren Augen aus?
M: Wir fahren mit dem Tour-Bus an ein Festival, und alles stimmt: vom Sound-Check bis zum Auftritt und der Party danach. Das ist für mich ein perfekter Alltag!
Und die Realität?
C: Auf einer Amerika-Tour wird dir jedes kleine Ding «zwägpäppelet». Da bist du König. Zuhause wieder Bettler. Das ist schon ein ziemlicher Crash, den du erst mal verdauen musst. Während Monaten dreht sich alles um dich, die Band, den Auftritt. Und plötzlich musst du den Müllsack wieder selbst raustragen. Dich um die fucking Steuererklärung und all den Kram kümmern. Natürlich gehört dies zum Himmel-Hölle-Spiel und es hält dich auch auf dem Boden!
M: Ja, es ist schon hart, wenn du plötzlich wieder Rechnungen bezahlen musst, oder ein Zahnarzttermin ansteht … (lacht)
C: Trotzdem erfuhren wir die grösste Bereicherung wohl beide im realen Privatleben, und zwar durch unsere Kinder. Diese Reise ist unglaublich! Die Liebe zwischen Eltern und einem Kind ist eine Liebe, die ich vorher so gar nicht gekannt habe. Die ist ewig – wie Musik: Genauso wenig wie die Liebe für die Musik je schwindet, vergeht auch die Liebe zu deinem Kind nie.
M: Egal, was es macht …
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Wenn wir schon emotional unterwegs sind: Gibt es einen Song, der euch zum Weinen bringt?
C: Ich komme gerade aus London zurück, wo ich mal wieder «Don’t Look Back In Anger» von Oasis gehört habe. Läck, isch das geil: «So I start a revolution from my bed» – genau richtig, das mache ich heute! Dieses Lied haut mich echt um.
M: Momentan gibt es einen Song, der mich emotional wirklich berührt. Ich hatte nasse Augen, als ich ihn gesungen habe. Leider darf ich noch nicht darüber reden. Ende Oktober wirst du sehen, worum es sich handelt … (lacht)
C: Musik ist wirklich die stärkste aller Künste. Medizin und Menschenvereiner gleichzeitig! Melodien und Rhythmen können Unglaubliches auslösen. Und die grössten Künstler diesbezüglich sind und bleiben für mich die Beatles. Mind-, heart- und soul-blowing!
Wie haltet ihr euch, abgesehen von den drei Litern Wasser, auf Tournee fit?
M: Hard Rock ist ein Leistungssport, glaube mir!
C: Das ist schon so. Ich würde gar behaupten, dass wir heute fitter sind als vor 30 Jahren, nach einer Tour wahrscheinlich gesünder als davor, weil wir alles ausschwitzen. Klar, trinken wir heute auch weniger Alkohol, immer erst nach den Konzerten. Das Gefährlichste ist aber die Ernährung, diese Fresserei auf Tour – weg mit den Chips und all dem Scheiss!
Was war in der Schule euer Lieblingsfach?
C: Die Schul-aus-Glocke! Leider konnten uns die damaligen Lehrer nicht so begeistern, wie das gewisse Lehrkräfte heute schaffen. Drum entschied ich mich für Rock’n’Roll. (lacht)
M: Ich habe Geschichte immer sehr gemocht.
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Für welche drei Dinge in eurem Leben seid ihr am dankbarsten?
M: Gesundheit, meine Frau, meine Kinder
C: Meine Liebesfähigkeit, das Leben nach wie vor mit jeder Faser abfeiern zu können plus Musik und meine Tochter
Auf welche Frage fehlt euch bis heute die Antwort?
M: Existiert ein anderer Planet, auf dem Menschen leben könnten? Das interessiert mich. Und ich glaube, es gibt ihn. Irgendwo.
C: Mich beschäftigt eher die Frage, wieso Blondinen so gut Autofahren können. (lacht)
Nein, im Ernst: Für alle grossen unbeantworteten Fragen des Lebens empfehle ich die Trilogie von Yuval Noah Harari. Der liefert klare Antworten. Eine super Winterlektüre!
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Nach dem Interview darf’s dann doch ein Cider sein. Schliesslich ist die Arbeit, zumindest für heute, getan.
Adios Amigos, und vielen Dank für das grossartige in-your-face-Treffen – wir sehen uns am 31. Oktober, drümmliger denn je!
Krokus an der Baloise Session
Sie tourten mit Grössen wie AC/DC oder Motörhead durch England und die USA und zeichnen sich seit Jahrzehnten durch ihren fadengeraden, «in-your-face»-Hardrock aus: Die sechsköpfige Band Krokus aus Solothurn legt auf ihrer Abschiedstournee in Basel einen Stop ein und wird am 31. Oktober das Publikum der Baloise Session zum Schwitzen bringen.
Auf keinen Fall verpassen! Tickets gibt’s hier.
Erleben Sie die einzigartige Clubtischatmosphäre des Indoorfestivals BALOISE SESSION.