Jetzt siehst du's! Die Scheibe ist nicht etwa kaputt, wie man beim Vorbeigehen allenfalls vermuten könnte, sondern Kunst von Simon Berger.
Die einen sprayen, die andern malen, kleben Keramikplatten an die Wand oder hauen mit dem Hammer auf Glas. Gemein ist allen: Ihre Kunst hängt nicht im Museum sondern im öffentlichen Raum. Und in Philipp Broglis Artstübli. Besuch bei einem Kenner, Förderer und Vermittler der urbanen Kunst-Szene.

Kunstfreaks wissen in der Regel genau, welche Museen und Galerien sie in Basel besuchen müssen. Bei der Strassenkunst wird’s schwieriger. Sie versteckt sich gerne ausserhalb des gängigen Blickfeldes oder tarnt sich gar als Plakatwand. Wo sind die Hotspots? Welche Künstler stecken dahinter? Philipp Brogli weiss es. Er ist mit vielen Graffiti- und Street Art-Künstlern der Stadt per Du – einerseits, weil man sich über das mit den Jahren aufgebaute Netzwerk kennt, andererseits, weil Philipp für sie zum wichtigen Dreh- und Angelpunkt geworden ist. In seiner Galerie Artstübli laufen die Fäden zusammen.

Unser Ziel war es, Schweizer Künstler aus ihrem Stübli zu locken.

 

«Begonnen hat alles nach meiner Lehre zum Polygraphen bei der BaZ», erzählt Philipp. «Damals haben wir ein PDF-Magazin herausgebracht, eine Art Best Of für Grafiker und Illustratoren. Das Magazin konnte kostenlos heruntergeladen werden, was dann auch tausendfach auf der ganzen Welt getan wurde.» Artstübli war geboren. Was ein wenig nach Fondue und Lagerfeuerromantik tönt, hatte allerdings einen anderen Hintergrund: «Unser Ziel war es, Schweizer Künstler aus ihrem Stübli zu locken. Mit Stübli war das Atelier gemeint», erklärt Philipp.

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Irgendwann wollte er nicht mehr nur digitale Daten hin- und herschicken, sondern richtige Ausstellungen organisieren. Man traf sich regelmässig in der damaligen Nuovo-Bar beim Birseckerhof. Ein Netzwerk entstand. Und daraus eine erste Ausstellung im Unternehmen Mitte. Das war 2006. «Wir hatten damals noch keine Ahnung davon, wie man diese für die Schweiz neue Bewegung an den Käufer bringt», grinst Philipp «wir wollten diese Kunstrichtung lediglich aus dem Untergrund holen und den Künstlern eine Plattform bieten.»

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Heute verkauft Philipp durchaus. Seit 2019 ist er vollberuflich für seine 2014 eröffnete Galerie Artstübli am Steinentorberg verantwortlich, organisiert und kuratiert vier bis fünf Ausstellungen pro Jahr. Zudem führt er Interessierte durch die Stadt und öffnet ihnen die Augen für Basels Freiluftgalerie. Er vermittelt und koordiniert Fassadenbemalungen, Raumgestaltungen, Guerilla-Aktionen und Interventionen im öffentlichen Raum. Sein Netzwerk geht mittlerweile weit über die Landesgrenzen hinaus, so dass internationale Künstler wie Stephen Powers (ESPO) oder Invader auf riesigen Wänden in Basel zu sehen sind. 

 

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«Invader ist einer der weltweit bekanntesten Urban Art-Künstler», erzählt Philipp «es bleibt aber – genau wie bei Banksy – ein Rätsel, wer er genau ist. Ich habe ihm eines Tages eine Mail geschrieben und ihn gefragt, ob er Interesse daran hätte, in Basel eine grosse Wand zu gestalten.» Er hatte. Heute hängt der erste goldene Space-Invader der Welt in Basel an der Clarastrasse. Invader-Fans aus der ganzen Welt kommen hierhin, um über die App «Flash-Invaders» Punkte zu sammeln. Für das Grosswerk namens «The Golden Pot of the Art World» gibt’s deren 100. «Übrigens hat er auch dieses Kunstwerk in einer Nacht- und Nebelaktion montiert», schmunzelt Philipp.

Urban Art ist derzeit weltweit die aktivste Kunstbewegung und wird in die Geschichtsbücher eingehen.

Mehr als 3'800 Invader-Bilder aus Keramik gibt’s auf der Welt, jedes ist einzigartig. «Die Keramikplatten stellt er in seinem Atelier in Paris her und montiert sie mit Gips an die Wand», weiss Philipp, «ich habe einige Reserve-Platten im Artstübli, um das Werk zu reparieren, falls mal was kaputt gehen sollte ...». Es ist spannend, ihm zuzuhören. Mit Freude erzählt er von weiteren Arbeiten, die mit seiner Hilfe entstanden sind: Von Hendrik Beikirch (ECB), der beim Dreispitz einen Lagerarbeiter in Grossformat auf die Wand gerollt und gesprayt hat. Von Projekten mit Eddie Hara oder Thierry Furger. Von der Zusammenarbeit mit der IWB, die seit 2014 ihre Bezirksstationen und Verteilkästen unterschiedlichen Künstlern zur Verfügung stellt. Zudem vermittelt und sensibilisiert er auch frei zu bemalende Graffiti-Wände für die Szene. IWB und Stadtreinigung zeigen dabei, wie es gemeinsam funktioniert.

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«Urban Art ist derzeit weltweit die aktivste Kunstbewegung und wird in die Geschichtsbücher eingehen», ist sich Philipp sicher. «Und Basel übernimmt dabei langsam aber sicher die Vorreiterrolle in der Schweiz.» Ja, in Basel ist es offiziell: Graffiti ist nicht einfach Geschmier, sondern Kunst. Wie wär’s also mal wieder mit einem Urban-Art-Spaziergang durch die Stadt, jetzt wo du auf die Art Basel verzichten musstest? Ansonsten freut sich Philipp auch über Besuch in seinem Stübli – dort gibt’s ab September eine neue Ausstellung zu sehen und bis dahin solltest du dir unbedingt noch das Glaskunstwerk von Simon Berger im Schaufenster angucken. Und falls du das Gefühl hast, die Scheibe sei kaputt – einfach ein Handyfötteli machen. Kunst, weisch!

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Die Finissage der Ausstellung «Studien & Skizzen» der Künstler David Monllor, Pollo 7, Daniel Zeltner und Fafa ist am Samstag, 27. Juni von 14 bis 18 Uhr. artstuebli.ch