Wer sich die neuste Ausgabe des Bar Guides Basel anschaut, merkt schnell: Unsere Stadt kann sich auf der internationalen Bar-Landkarte mehr als sehen lassen! Ein Interview mit Markuss Engeler, Präsident des Vereins Basel BarTender.

Für mich bist du der Basler Dalai Lama der Spirituosen. Wie und wann hast du die Liebe zum Alkohol für dich entdeckt?

Ui, da muss ich weit ausholen. Wenn du von Spirituosen-Dalai Lama sprichst, ist das zwar sehr lieb. Daniel Mumenthaler aus dem Hinz und Kunz weiss aber beispielsweise viel mehr als ich. Der kann dir über jede Flasche eine halbstündige Geschichte erzählen!

Mein Wissen konzentriert sich vor allem auf Rum. Beziehungsweise auf den meiner Ansicht nach richtigen Rum, nämlich den französischen. Im Vergleich zum «Rhum Industriel» wird der «Rhum Agricole» aus frischem Zuckerrohrsaft, und nicht aus Melasse, hergestellt. Beim «Rhum Agricole» kommen also sämtliche Bausteine des Zuckerrohrs zum Einsatz. Beim Melasse-Rum nur ein Teil davon. Was nicht bedeutet, dass ein Melasse-Produkt nicht auch Weltklasse schmecken kann!

Wann ich den Zuckerrohrschnaps für mich entdeckt habe? Das ist etwa 15 Jahre her. Während meiner ersten Rum-Reise auf den Französischen Antillen im Januar 2014 besuchte ich dann sämtliche Destillerien und verbrachte viel Zeit dort. Marie-Galante wurde zu meiner Lieblingsinsel. Immer wenn ich dort bin, erzähle ich den Einheimischen von der grossen Barstadt Basel. Und selbstverständlich habe ich auch unsere Bar Guides überall fleissig verteilt.

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Weisst du noch, wann und wo du deinen ersten Cocktail getrunken hast?

Da war ich 14. Ich fuhr mit dem Velo nach Frankreich, um im Géant Casino meine Satteltaschen mit Alkohol zu füllen und die Ware dann über den Zoll zu schmuggeln.

Wieder zuhause habe ich mir, nach Rezepten eines ganz schlechten Cocktailbuches, erste Drinks gemixt.

Mit 14?

Ja, die einen wollen Pilot werden, andere Lokführer. Ich träumte als Kind immer davon, Tierarzt zu werden. Bis mich die Faszination des Barkeepings gepackt hat. Aus verschiedenen Produkten was völlig Neues zu zaubern – das stellte ich mir immer so spannend vor.

Sehr viel später, nach Umwegen in der Sozialpsychologie, Pädagogik und Psychologie, wurde ich dann tatsächlich Barkeeper. In einem schrägen, lustigen Pub in Biel habe ich erste Gehversuche hinter dem Tresen unternommen und bin danach immer tiefer in die Barszene hineingerutscht. Die breite Masse hat mich aber nie interessiert. Ich wollte immer schon was Anderes, was Spezielles machen. So soll auch das Zum Kuss eine Oase sein, ein Ruheort. Wer hierher kommt, soll sein Lachen wieder finden.

 

Haben dich deine Eltern zum Trinken inspiriert?

Nein, im Gegenteil. Die Flaschen meiner Mutter haben mich überhaupt nicht angesprochen, obwohl sie eigentlich einen guten Geschmack hatte. Sie trank gerne Cynar – für mich lange ein Altweibergetränk. Bis ich vor ein paar Jahren nach einer Blinddegustation all meiner angebotenen Apéritifgetränke gemerkt habe: Cynar ist richtig geil!

Welche Flasche ist dir momentan am liebsten?

Das kommt auf die jeweilige Situation an. Nach all den Jahren trinke ich immer noch am liebsten «Rhum Agricole». Auf eine Flasche festlegen könnte ich mich jedoch nie!

Ich arbeite grundsätzlich gerne mit cleveren Produkten. Mit Produzenten, die sich was überlegen – und ihre Überlegungen transparent auf der Flasche wiedergeben. Ich möchte meinen Gästen möglichst viel über das von ihnen bestellte Produkt erzählen können. Als Gastgeber sehe ich mich dafür verantwortlich.

Die meisten deiner Flaschen bringst du aus den Ferien mit, stimmt’s?

Genau, vorletztes Jahr bin ich mit drei Koffern in die Karibik gereist. Bei meiner Rückreise waren zwei davon prallgefüllt mit Rum. Die Zöllner am Euroairport «lieben» mich. (lacht)

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Kommen wir auf den Bar Guide zu sprechen: Wenn man sich die soeben erschienene Ausgabe anschaut, wähnt man sich glatt in einer Weltstadt wie London. Wie kommt’s, dass Basel einen dermassen grossen Sprung gemacht hat?

In der ersten Ausgabe vom Bar Guide waren 24 Bars vertreten, in der zweiten 29. Dieses Jahr sind wir bei 35 – ich gehe davon aus, dass nächstes Jahr 40 Bars aufgelistet sein werden.

Basel durfte in den letzten fünf bis zehn Jahren auffällig viele gute neue Bars aufnehmen. Davor war unsere Stadt, was die Barszene betrifft, lange Zeit ein armseliges Pflaster. Abgesehen von gewissen Hotelbars konnte man nicht viele Orte weiterempfehlen. Eine Basler Bar war lange nur dann gut, wenn ein kompetenter Mitarbeiter dort tätig war. Zog dieser jedoch weiter, war die Bar nichts mehr wert.

Heute ist die Dichte an guten Adressen, wie beispielsweise Angels’ Share, Hinz und Kunz, Werk 8, Bibliothek, bemerkenswert. Plötzlich fing man an, gute Konzepte zu bespielen. Und zwar mit top ausgebildeten Leuten.

Eine nächste Neueröffnung steht bereits an: Norbu und Martin aus dem Werk 8 verwandeln die ehemaligen Räumlichkeiten von John Tweed in ihre «Herzbar».

Mit der Herzbar wird bald schon eine nächste Basler Bar eröffnen.

War die Zunahme der Bardichte auch der Grund für den ersten Bar Guide?

Der Bar Guide verfolgt hauptsächlich ein Ziel: gegenseitige Unterstützung in der Barszene.

Als es plötzlich mehr als zehn gute Bars in Basel gab, kam mir die Idee einer Vernetzung. Ein Guide, mit dem wir uns gegenseitig stärken und gemeinsam nach aussen auftreten können.

Aus einem ersten Treffen unter Kollegen entstand im April 2016 der Verein Basel BarTender. Neben dem Bar Guide standen Themen wie die Attraktivitätssteigerung des Bartender-Berufs für Frauen, die Regulierungen und die Qualitätsförderung in den einzelnen Bars schon immer auf unserer Agenda. Seit 2017 findet, ausser dieses Jahr, zudem jährlich die Basel BarTender Cocktail Competition statt.

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Die Basler Mixologen räumen auch an internationalen Wettbewerben gerne ab.

Ja, wir können durchaus stolz sein auf die Basler Szene: Das Angels’ Share wurde kürzlich sogar als beste Schweizer Bar ausgezeichnet. Im Jahr davor ging der Titel ans Werk 8.

Das ist aber nicht alles. Jeder proaktive Barkeeper trägt seinen Teil dazu bei, dass Basel zu einem wichtigen Punkt auf der Bar-Landkarte geworden ist.

Wo siehst du die Basler Barszene im internationalen Vergleich?

Als Basler neigt man natürlich gerne dazu, seine Heimatstadt auf den Thron zu setzen. Es wäre jedoch Schwachsinn, Basel mit Weltstädten wie New York oder Singapur vergleichen zu wollen.

Je mehr unsere Bartender aber reisen und sich auf internationaler Ebene austauschen; je mehr Bar Guides die Welt erreichen, desto eher wird Basel auch international als Barstadt wahrgenommen. Um eine weltweite Cocktail-Hochburg zu werden, müssen wir uns aber schon noch etwas entwickeln. (lacht)

Eine wichtige Rolle spielt immer auch das Publikum. Empfindest du die Basler Gäste experimentierfreudiger als auch schon?

Während viele Expats schon immer schnell parat waren, 18 bis 20 Franken für einen Cocktail auszugeben, zeigen sich mittlerweile auch die Schweizer deutlich offener als auch schon. Da ist definitiv eine Entwicklung im Gang!

Hast du eine Lieblingsbar in Basel?

Auch hier kann ich mich unmöglich auf einen Namen beschränken. Das Hinz und Kunz beeindruckt mich immer wieder mit mit seiner Cocktailstrasse. Wenn ich im Kleinbasel wohnen würde, wäre ich zudem öfters im Smuk oder Angels’ Share anzutreffen. Es gibt so viele wunderschöne Orte – Flore, Bibliothek, Trois Rois, Werk 8 … auch auf dem Dach vom Viertel ist es fantastisch! Und der Irrsinn macht beispielsweise einen supergeilen Job. Nie würde man beim Betreten dieser Spelunke erwarten, dass hier dermassen gute Cocktails serviert werden!

Am liebsten wäre ich dreimal pro Woche unterwegs, um all die Bars aus dem Bar Guide zu besuchen. Aber auch ich werde älter – und fauler. Nach dem Feierabend bin ich drum häufig gerne zuhause, trinke mein Rümli und rauche meine Zigarre.

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Wer produziert den Bar Guide?

Text und Bild stammen von den Bars selbst. Dadurch werden die verschiedenen Charaktere in meinen Augen deutlicher spürbar. Jede Bar hat ihre eigene Sprache und spricht damit die Gäste an, die sie ansprechen soll und will.

Für die Grafik zeichnet sich bereits zum zweiten Mal Swiwi Design verantwortlich. Und bestimmt nicht zum letzten Mal! Für die Farbgebung des Senftons ist eine Quelle verantwortlich, die es bevorzugt, anonym erwähnt zu werden.

Wo kann man das hübsche Büchlein beziehen?

Die Guides liegen unter anderem bei Pro Innerstadt Basel, Basel Tourismus und in den einzelnen Bars auf. Wer mir eine Mail schreibt an [email protected], kriegt so viele Guides, wie er oder sie gerne hätte. Gratis!

Wie kann der Sommer 2020 trotz schwieriger Umstände zu einem speziellen Sommer für die Gastronomie werden?

Das ist eine Frage, die derzeit viele von uns plagt. Noch fehlt mir eine eindeutige Antwort. Ich hoffe auf die Kreativität der einzelnen Betriebe und Personen.

Zudem müssen dringend zwei Dinge passieren: Erstens muss der Bundesrat unbedingt gewisse Regeln abändern oder aufheben, sonst können wir mittelfristig nicht mehr funktionieren. Das Verheerendste ist das Verbot von stehenden Gästen; der Todesstoss für die ganze Barszene!

Zweitens muss sich das Ausgehverhalten unserer Gesellschaft wieder normalisieren: Die Leute müssen wieder raus, auf die Gasse, in die Betriebe! Um Geld auszugeben. Nicht weil sie müssen, sondern weil sie aus Freude wieder wollen.

Wir fahren noch immer mit angezogener Handbremse. Und die Bremse funktioniert leider verdammt gut.

Unsere Türen stehen zwar offen, doch erzielen wir derzeit gerade mal 50 bis 60 Prozent unseres gewohnten Umsatzes. Es ist bitter, wenn man nicht zeigen kann, was man eigentlich drauf hat. Auch wenn gewisse Massnahmen gerechtfertigt sein mögen.

Wir fahren noch immer mit angezogener Handbremse. Und die Bremse funktioniert leider verdammt gut.

An was für kreative Lösungen denkst du?

Es gibt viele tolle Online-Lösungen von verschiedensten Bartendern. Ich denke da beispielsweise an den Podcast Ask Your Bartender von und mit Michael Schneider.

Auf Dauer können wir aber online nicht bestehen. Denn die Barkultur lebt von der Zweiwegkommunikation. Traust du dem Barkeeper beispielsweise deine Sorgen an, mixt er dir den passenden Drink dazu.

Probieren wir das doch gleich aus: meine Work-Life-Balance ist momentan komplett im Eimer. Mit welchem Drink kriegst du sie wieder ins Gleichgewicht?

Ich empfehle dir einen unserer Signature Drinks, bestehend aus einem Martinique Rhum, der sechs Jahre im Fass gelagert wurde. Geht geschmacklich in Richtung Cognac. Am Schluss wird der Shortdrink mit einer hausgemachten Tinktur deiner Wahl abgerundet. Zur Auswahl stehen tropische Mandarine, Orange, Grapefruit, Sorrel (erinnert an Hibiskus), Banane oder Bois Bandé – ein Holz, das als Aphrodisiakum für die Messieurs eingesetzt wird.

Für Frauen funktioniert’s nicht?

Das kann ich als Mann nicht überprüfen.

Ein letztes Wort deinerseits?

Liebe Leute, geht in die Bars!

Und trinkt?

Sowieso!

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Bar Guide Basel

Mit 14 Jahren hat Markuss Engeler Alkohol aus Frankreich geschmuggelt, um sich erste Cocktails zu mixen. Heute kehrt der 54-Jährige regelmässig mit zwei Koffern Rum aus seinen Karibikferien zurück. Um diese in seinem Lokal, dem Zum Kuss, zu verkaufen. Völlig legal natürlich.

Der Basler Barkeeper ist aber nicht nur ein begnadeter Gastgeber, sondern auch Präsident des Basel BarTender Vereins und Initiant des Basler Bar Guides. Kurz vor dem Lockdown erschien die neue Ausgabe. Und nun liegt sie endlich zum Genuss parat.

Beziehen kannst du den Bar Guide beispielsweise bei Pro Innerstadt Basel oder Basel Tourismus. Ansonsten schreibst du eine Mail an [email protected]. Das kleine Büchlein beinhaltet nicht nur 35 grossartige Adressen zum Ausgehen, sondern unter anderem auch feine Cocktailrezepte. Der Bezug ist gratis.

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