Ein Mensch im Dienste der Kunst; das ist LuYang. Geschlecht, Alter, Religion oder Nationalität sollen in seinen Arbeiten keine Rolle spielen. Das auf ihn zutreffende Personalpronomen wechselt er mit fast jedem Presse- oder Ausstellungstext. Für den Begleittext in der Kunsthalle Basel sollte es männlich sein. Gut möglich jedoch, dass es heute schon wieder weiblich wäre – LuYang ist nicht mehr in Basel. Eine volle Woche war er hier, plauderte an der Vernissage mit den Gästen, genoss den Menschenauflauf an der Museumsnacht.
Dann ging’s für ihn weiter. Nach Berlin. Die Deutschen Bank kürte ihn zum «Artist of the Year 2022». Nach Berlin folgt London. LuYang ist der Künstler der Stunde. Ganze fünf Räume durfte er für die Kunsthalle gestalten – die Ausstellung in Basel ist seine erste Einzelausstellung in der Schweiz und gleichzeitig die grösste Ausstellung, die er je hatte. Eine grosse Sache für ihn. Und auch für Basel. LuYang zählt zu den bedeutendsten asiatischen Kunstschaffenden der Gegenwart.
Er bewegt sich leichtfüssig in der von Science-Fiction, Manga-, Gaming- und Technokultur inspirierten Kunstszene, kennt sich bestens aus mit hypermodernen Technologien. Gleichzeitig beschäftig er sich mit altasiatischem Polytheismus, mit Neurowissenschaften, mit dem Tod, der eigenen Sterblichkeit und den Wurzeln des menschlichen Bewusstseins. Schwere Themen sind es also, die in seinen Arbeiten in von elektronischem Sound untermalten, bonbonfarbenen Kleid daherkommen.
Kein Wunder, findet man an den Wänden Warnhinweise: Kinder sollten sich die Ausstellung nicht ohne Begleitung Erwachsener anschauen, auch wenn manche seiner Filme unterhaltsam daherkommen. Hier fährt ein geschlechtsloser Superheld auf einer geflügelten Damenbinde Skateboard. Da manipuliert ein verstörend psychopathisch wirkender Weisskittel mit elektrischen Strömen das Gehirn eines Patienten. Dort tanzt der in einen riesigen Papierdrachen verwandelte Kopf des Künstlers über der Erde. Unterhaltsam ja, aber eben auch verstörend, seltsam, hin und wieder grausam. Man möchte das alles nicht wirklich sehen, kann den Blick aber dennoch nicht abwenden.
Klar ist: LuYangs Ausstellung in der Kunsthalle ist überraschend und enorm eindrücklich. Du sitzt in einem buddhistischen Tempel auf christlichen Kirchenbänken und guckst dir quietschbunte Videos zu Technosound an. Du liegst auf einem Zahnarztstuhl und beobachtest die Riesenbrüste eines Roboter-Bunnys. Du bekämpfst virtuelle Feinde in einer Reihe von käfigartigen Spielstationen. Und du sitzt in Flugzeugsesseln und fliegst mit der digitalen Reinkarnation des Künstlers über dystopische Landschaften.
Um in LuYangs Welt einzutauchen, brauchst du von hinduistischen Kosmologien, Motion-Capture-Technologie, Neurowissenschaft oder Computer Generated Imagery nichts zu verstehen. Nur etwas Zeit solltest du dir für den Museumsbesuch reservieren. Du wirst so schnell nämlich nicht wieder rauskommen. Zu fesselnd sind die über die Bildschirme tanzenden Avatare. Zu aufwühlend die über der Ausstellung schwebende Frage: In einer Zeit, in der unser Leben bis ins kleinste Detail von Technik durchdrungen ist und das Selbst sich wie ein Virus in den sozialen Medien ausbreitet – was bedeutet es da noch, ein Mensch zu sein?
LuYang – bis 21. Mai in der Kunsthalle Basel
LuYang ist in Schanghai (China) geboren, lebt aktuell jedoch in Tokio (Japan). 2010 schloss er das Studium der Kunst der neuen Medien an der chinesischen Kunstakademie in Hangzhou ab. Seither hat er ein verblüffend komplexes Werk geschaffen. Dazu gehören 3-D-Animationsfilme, Virtual- und Augmented-Reality-Projekte, Computerspiele, Motion-Capture-Performances und Installationen. LuYang arbeitet für seine Werke mit Neurowissenschaftlerinnen, Popstars, Psychologen, Software-Entwicklerinnen, Komponisten, traditionellen Tänzern, Robotik-Unternehmen und vielen weiteren Menschen zusammen. LuYangs Geburtsjahr findet man zwar noch im Internet, es soll aber zukünftig keine Rolle mehr spielen, weil er sich der Alterslosigkeit seiner Avatare immer mehr annähern möchte. Seine Arbeiten sind zudem nicht geschlechtsspezifisch und kostenlos auf Vimeo oder YouTube verfügbar.