Seit neun Jahren bietet Christian Graf seine philosophischen Abendgespräche «Denkpausen» an. Er schafft mit ihnen einen Raum, um gemeinsam über ein Thema nachzudenken und zu diskutieren. Um aus gewohnten Denkmustern auszubrechen und neue Denkhorizonte zu erreichen. Eine Hand voll bunt zusammengewürfelter Leute diskutiert da jeweils zu Themen wie «Entwicklung und Verwandlung», «Genie und Wahnsinn» oder «Tier – Mensch – Maschine». Was für eine interessante Veranstaltungsreihe, findet basellive.ch und hat dem Musiker, Philosophen und Gründer der Gesprächs-Reihe ein paar Fragen gestellt.
Herr Graf, was meinen Sie, denken die Menschen grundsätzlich zu wenig?
Nicht unbedingt, aber zu sehr in ein und dieselbe Richtung. Viele sind wie in einem Gefängnis. Sie hätten ein riesiges Potential, aber sie finden den Weg hinaus nicht, um es entfalten zu könnten. Das ist aber ein Zeitproblem. In den Denkpausen nehmen wir uns die Zeit, um das Denken zu befreien.
Sobald das Denken in seinem Element ist, ist es nicht mehr anstrengend, sondern eine Kraftquelle ohnegleichen.
Aber denken ist doch auch Arbeit und anstrengend. Weshalb sollte man eine Pause also zum Denken benutzen, wenn man auch einfach etwas Fernsehen könnte?
Falsch gedacht! Arbeit, die wir gern machen, bleibt zwar Arbeit, aber ist nicht anstrengend, raubt uns nicht Kraft, sondern gibt uns Kraft. Sobald das Denken in seinem Element ist, ist es nicht mehr anstrengend, sondern eine Kraftquelle ohnegleichen. Wie viele Gäste sagten schon, sie seien sehr müde und wären um ein Haar gar nicht gekommen, und am Ende war die Müdigkeit verschwunden und sie verliessen die Veranstaltung in einem angeregten Zustand. Den Vergleich zum Fernsehen brauchen die Denkpausen also wirklich nicht zu scheuen - auf diese Alternative kommt niemand, der schon einmal bei uns war ...
Welche Voraussetzungen braucht es zum erfolgreichen Denken?
Keine. Alle könn(t)en es, selbstverständlich. Die Voraussetzungen liegen jedenfalls nicht in einem bestimmten IQ oder in einer bestimmten Vorbildung, sondern in der Bereitschaft, liebgewordene Ansichten fahren zu lassen und mit dem Denken zwischenzeitlich noch einmal neu anzufangen. Da tun sich erfahrungsgemäss gerade die Menschen schwerer, die schon ganz viel Wissen und Bildung haben und sich etwas auf diese einbilden.
Kann man in einer Denkpause auch einfach nur zuhören und sich inspirieren lassen?
Selbstverständlich kann man das. Die meisten, die das anfangs vorhaben, sprechen dann aber doch mit, weil es so zwanglos und offen zugeht. Aber wenn jemand gar nichts sagt, vergewissere ich mich in der Regel bei der Person, dass sie sich auch wirklich wohlgefühlt hat.
Jedes Gespräch ist ein Abenteuer - für alle Beteiligten.
Was ist Ihre Rolle an einem solchen Abend?
Ich bin der Gesprächsleiter, der Moderator, ich schaue, dass alle zu Wort kommen, die das möchten, dass wir beim Thema bleiben, verknüpfe Widersprüchliches, bringe eigene Impulse und philosophische Hintergründe ein und sage manchmal auch selbst engagiert meine Meinung. Diese Momente, in denen ich über die Rolle des blossen Moderators hinausgehe, wird von manchen Gästen besonders geschätzt. Ich plane keinen Ablauf und auch keinen Schluss, sondern verlasse mich auf die Improvisation. Jedes Gespräch ist ein Abenteuer - für alle Beteiligten, und erstaunlich oft hat man am Ende einmütig das Gefühl, dass der Abend gelungen ist und alle verwandelt aus ihm hervorgehen.
Kommt es hin und wieder auch zu hitzigen Diskussionen?
Jawohl, das kommt vor. Wenn zum Beispiel zwei der Gäste nicht miteinander können. Dann bin ich besonders gefordert ... Oder wenn ein Gast eine wissenschaftliche Position und seine Auslegung derselben als die Wahrheit präsentiert. Das ist ein No-Go, denn das Gespräch funktioniert nur, wenn wir alle von unserer je eigenen Erfahrung ausgehen. Wenn jemand nicht sagt, was er denkt, meint, fühlt oder erfahren hat, sondern was angeblich wissenschaftlich bewiesen sei, stehen alle andern dumm da und das Gespräch ist getötet. Da muss ich sehr energisch Einspruch erheben.
Wie ist der Mix der Leute, die da bei Ihnen zum öffentlichen Denken vorbeikommen?
Ein grossartiger Mix - eine der Hauptattraktionen der Reihe. Es sind jeweils ganz verschiedene Berufe anwesend: Lokführer, Physiotherapeutinnen, Chefärzte, Kommunikationsberaterinnen, Architektinnen, Künstler, Leute in Umbruchsituationen, Tierärzte, Buchhändler ... Vom Alter her muss ich sagen, dass es ein deutliches Übergewicht älterer Leute hat. Umso mehr freuen wir uns jeweils über jüngere Teilnehmer, die auch immer wieder den Weg zu uns finden. Philosophisch gebildet ist kaum ein Gast, worin ich keinen Nachteil sehe.
Wie läuft denn ein Denkpausen-Abend ungefähr ab?
Wir sprechen von 20 Uhr bis 22 Uhr über ein von mir vorgegebenes Thema. Im besten Falle ist es ein konzentriertes Gespräch, intensiv, engagiert, aber auch heiter, humorvoll und entspannt. Fast immer ist die Zeit zu knapp. Nicht selten entdeckt die Runde gerade erst gegen zehn Uhr, was der spannendste Aspekt eines Themas wäre - und dann fällt es schwer, ein Ende zu finden. Aber auch das gehört zum Reiz der Reihe - für die Teilnehmer und für mich.
Vielen Dank, Herr Graf, für das interessante Gespräch. Ich wünsche Ihnen viele weitere spannende, witzige, hitzige und schöne Denkpausen!
Was: Denkpausen – philosophische Abendgespräche
Wann: in unregelmässigen Abständen, jeweils an einem Mittwochabend, 20 Uhr bis 22 Uhr
Wo: Philosophicum, Ackermannshof
Kosten: CHF 20.-
Anmeldung: keine nötig
Die nächste Denkpause findet am 28. August zum Thema «Hier und Jetzt» statt.
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