Gemächlich spaziert die Bartlett-Dolchstichtaube am Eingang des neuen Vogelhauses im Zolli vorbei. Eigentlich ist sie in Südostasien zu Hause, zählt dort zu den gefährdeten Arten. Nur noch etwa 2000 Stück gibt es von ihr in der Natur. Die Socorrotaube, die eigentlich von einer pazifischen Insel nahe Mexiko kommt, ist dort bereits komplett ausgestorben. Im Zolli gibt es sie noch. Etliche der Vögel hier sind vom Aussterben bedroht. Um ihre Population zu erhalten, werden sie im Zolli gezüchtet. Hier, fern von ihrem Heimatland, im frisch sanierten und erweiterten Vogelhaus, in den Innen- und Aussenvolieren ist ihr Zuhause. Hier gurren, zwitschern und tschirpen sie sorglos vor sich hin, nichtsahnend, dass sie zu den letzten ihrer Art gehören.
Besorgniserregend bedroht und dennoch exotisch schön ist die Welt in dem historischen Vogelhaus. Feuchte 18 bis 20 Grad warm ist es hier, am Boden Pfützen, in der Mitte des hohen, hellen Raumes wu- chernde Pflanzen, Farne und Moose. Wasser plätschert, Vögel fliegen pfeilschnell durchs Geäst und pfeifen die wildesten Melodien. Je geringer die Körpergrösse, desto vehementer das Auftreten – es ist fast wie bei den Menschen. Der südamerikanische Veilchenorganist mit seinem winzigen Schnäbelchen zum Beispiel wiegt gerade mal ein paar Gramm, singt aber wie Montserrat Caballé. Natürlich nicht um der schönen Kunst willen. Er und seine Artgenossen wollen mit ihren Stimmen den Weibchen imponieren. «Mit Erfolg», weiss Kuratorin Jess Borer. «Bereits wenige Wochen nach dem Umzug ins neue Vogelhaus sassen die ersten Küken in den Nestern – es ging überraschend schnell.»
Die genaue Anzahl Tiere im Vogelhaus ist schwer zu benennen: «Sicher ist; im alten Vogelhaus leben unge- fähr 50 Tiere», so Jess Borer. «Tendenz steigend.»Während das neue Haus Vögel aus Süd- und Mittelamerika beherbergt, sind im alten Teil Arten von Amerika, Asien und Afrika zu Hause – Tiere, die zwar in der Natur niemals zusammenfinden würden, die hier aber friedlich neben- und miteinander leben. Von Vögeln kann man einiges lernen ...
Um die rund 30 Vogelarten in den beiden Freiflughallen zu entdecken, braucht es jedoch etwas Geduld. Nicht alle Tiere watscheln bereits am Eingang sorglos an einem vorbei. Viele von ihnen leben in der Höhe, sind farblich kaum von den Blättern zu unterscheiden und zeigen sich nicht so leicht. Dank Balkonen im ersten und zweiten Stock der durch den Umbau vergrösserten Halle lassen sich die Tiere auch im Flug bewundern. Am allerschönsten jedoch ist es, auf einem der Bänkli Platz zu nehmen und sich dem Vogelkonzert hinzugeben. Schlechte Laune und Herbst-Tristesse weichen so ganz schnell enormer Dankbarkeit und Demut gegenüber den irren Wundern dieser Welt.