Seit kurzem bieten die Merian Gärten den Audio Walk «Unter freiem Himmel» an. Die Beschreibung tönt spannend, also melde ich mich an und werde vor der Scheune auf eine 70-minütige Reise geschickt. Kurz kommt es mir etwas seltsam vor, mit Kopfhörern auf den Ohren versunken durch den Park zu wandeln, in einer Jahreszeit, in der einem die Vögel in mehreren Oktaven ihr Frühlingsglück zujubeln.

Doch weil es an diesem Morgen bitterkalt ist, setze ich mir die grossen Kopfhörer dankbar auf meine eisigen Ohren und lausche den Worten, die da sanft an mich herangetragen werden. Mit einer Stimme, die mich beschützend bei der Hand nimmt, als wolle sie sagen: «Lass los. Bei mir bist du sicher.» Ohne zu zögern gebe ich mich dem Geschehen hin und lasse mich fallen in eine wohlige Zwischenwelt, in der ich mich vollkommen geborgen fühle.

Der Stimme durch die Gärten folgend höre ich Kühe muhen, Störche klappern, Bienen summen, Pferde schnauben. Hin und wieder sanfte Musik. Kindergeplapper. Schritte. Die tatsächlichen Geräusche des morgendlichen Treibens auf dem Areal vermischen sich mit der Tonspur auf meinen Ohren. Ich höre von feinstofflichen Wesen und Luftgeistern. Von Dachsen, die im Park leben und vom Ehepaar Merian, das die Villa samt 50 Hektaren Umschwung zur Hochzeit geschenkt bekam und sie als Sommerresidenz nutzte.

Immer wieder darf ich ein Foto aus dem Täschli zupfen. Darauf zu sehen ist zum Beispiel eine davonrennende Braut, der Geist einer ehemaligen Patientin, die in der Villa Merian zur Kur war oder ein Gärtner mit Sense. Ich erfahre, dass Queen Elisabeth anlässlich ihres Besuches an der Grün 80 in der Villa Merian gegessen hat – und dafür eigens aus dem Kunstmuseum Bilder von Arnold Böcklin im Speisesaal aufgehängt wurden. «Die Toteninsel» zum Spargelmenü. Ich muss schmunzeln. An mehreren Stellen während des Rundgangs.

Welche Geschichten sind wahr, welche Fiktion? Nicht immer ist der Unterschied klar zu erkennen. Immerhin meinen Augen kann ich trauen. Ich sehe spielende Eichhörnchen und eine Maus, betrachte Bäume und Kunst, blicke in den nahen Schwarzwald – oder zumindest soweit es der Nebel zulässt. Im Nu sind diese 70 Minuten vorbei und ich möchte rufen: «Nein, geh noch nicht, du schöne Stimme, lass mich nicht allein in dieser Kälte!» Entspannter hätte ich nach keiner Klangschalenmassage, geläuterter nach keiner Meditation, zufriedener nach keiner frühmorgendlichen Joggingrunde sein können. Wie gut es tut, alleine zu wandeln, sich Zeit zu nehmen, um Dinge aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Klar, vielleicht wäre es bei Sonnenschein noch wunderbarer gewesen. Vielleicht aber auch nur weniger kalt. Daher: Unbedingt ausprobieren - egal bei welchem Wetter!