Schaut man sich Sandra Pintos Instagram-Account an, könnte man meinen, sie sitze den ganzen Tag an den schönsten Orten dieser Welt in den mondänsten Cafés, blinzle in die Sonne und geniesse «la pura vida». Lauscht man dann ihren Erzählungen, fragt man sich, wann sie in den vergangenen Jahren überhaupt je die Zeit fand, um auch nur ans entspannte Kaffeetrinken zu denken. Ich treffe Sandra an einem kühlen Frühlingsmorgen an der Oetlingerstrasse, warte vor dem Lamarel-Schaufenster, als sie aus einem Auto springt, mich herzlich begrüsst und umarmt. Es ist, als würde die Sonne aufgehen. Hündchen Pancho ist ganz aus dem Häuschen.
Sandra Pinto gehört nicht nur zu den erfolgreichsten Fashion-Influencerinnen der Schweiz, sie hat zudem ein abgeschlossenes Wirtschaftsstudium und führt einen Modebrand, der sich online und in zwei Stores in Zürich und Basel sehr gut verkauft. Lamarel heisst ihre Marke, die Capsule Wardrobe verkauft; zeitlose, vielseitig einsetzbare und hochwertige Basics für sie und ihn. Sandra ist 31 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann Miguel, einem Maschinenbauingenieur aus Sevilla, in Basel. Dass sie sich nach der Matura für ein Wirtschaftsstudium entschied, war eher eine Notlösung. «Ich wusste einfach nicht, welcher Studiengang mir am ehesten den Weg in die Modebranche ermöglicht», schmunzelt sie. Denn dass es etwas mit Mode sein musste, war klar. Das Studium war vorerst keine grosse Hilfe. «Eine einzige Vorlesung gab es zum Thema Marketing. Von Digital Marketing war gar nie die Rede.» Um einen Einblick ins Business zu erhalten, jobbte sie nebenbei bei Only und Intimissimi. Um zu verstehen, wie die Social Media-Welt funktioniert, startete sie einen Instagram-Kanal. «Hobbymässig. Ich hatte keine Ahnung, was ich da tue», grinst sie. Das war vor zehn Jahren, vor 479 000 Followern.
Ich bin selten an dem Ort, von wo ich ein Foto poste.Sandra Pinto
Ihre stetig steigende Reichweite im Internet bescherte ihr bald die ersten Werbeverträge, ein Praktikum bei Estée Lauder in Zürich und schliesslich einen Job als Content Manager bei Bucherer in Luzern. Als sie sich während eines Urlaubs in Marrakech in die schönen Leinenkleider und Raffia-Schuhe auf dem Markt verliebte, wusste sie: Sie wollte ein Label entwickeln, das solche wunderbaren Produkte verkauft. «Die Idee mit den Produkten aus Marrakech hat aber leider überhaupt nicht funktioniert», lacht Sandra. Also reiste sie nach Portugal und machte sich auf die Suche nach einem Unternehmen, das ihre Ideen umsetzt. «Ich habe Familie in Portugal, eine Cousine, die in der Branche arbeitet. Das war natürlich hilfreich.»
Wohnung in Zürich, Arbeit in Luzern, Familie in Basel, Freund in Sevilla, Produktion in Portugal – irgendwann wurde ihr Leben etwas unübersichtlich. 2018 kündigte sie bei Bucherer und kam zurück nach Basel. Seit 2020 fokussiert sie sich 100 % auf Lamarel. Finanziert hat sie sich und ihren Brand die ersten Jahre mit Instagram. Allerdings wollte sie auf keinen Fall langfristig abhängig sein von einer digitalen Plattform. Also gab sie Gas. «Die Entwicklung der Produkte, die Betreuung der Produktion, der Customer Service, die Website, Instagram, Bestellwesen – ich habe alles selber gemacht», erzählt Sandra nicht ohne Stolz. Die ersten drei Jahre hatte sie das Lager in ihrem alten Kinderzimmer im Elternhaus in Augst. «Irgendwann stapelten sich die Bestellungen im Wohnzimmer und auch das Postamt in Augst war etwas überfordert …» Sie mietete einen Lagerraum in Pratteln, wo sie bis vor einem halben Jahr gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem Mann Miguel, der zwischenzeitlich seinen Job in Spanien gekündigt hatte und in die Schweiz gezogen war, sämtliche Bestellungen selber bearbeitete. «Irgendwann konnten wir nicht mehr. Es ist vorgekommen, dass eine Insta-Kollegin ein Outfit von Lamarel gepostet hat, worauf am selben Tag 1000 Bestellungen eingingen. Da wurde es unkontrollierbar und wir merkten, wir müssen professioneller werden.» Heute übernimmt ein Logistikunternehmen in Muttenz die Bestellungen. Lamarel beschäftigt unterdessen 15 Angestellte.
Sandras Hund Pancho rennt aufgeregt zur Ladentür – Miguel kommt und blickt stirnrunzelnd auf die Uhr. Die Zeit drängt, denn Sandra hat viel zu tun. Und nein, ihr Leben sieht in der Realität nicht aus wie auf ihrem Insta-Kanal. «Bis heute habe ich immer wieder Krisen und denke: Ich schaffe das alles nicht. Die Entrepreneurschaft wird extrem romantisiert. Tatsächlich bin ich selten an dem Ort, von wo ich ein Foto poste. Auch in meinem Alltag klappen Produktionen nicht, wird falsch geliefert, gibt es Reklamationen. Mit den Angestellten wachsen zudem der Druck, die Verantwortung und die Erwartung an den Umsatz.» Dennoch scheint Sandra eins zu sein mit der Welt, die sie um sich herum aufgebaut hat. «Es ist alles irgendwie surreal», sinniert sie zufrieden und posiert noch kurz für ein paar Fotos. Eine warme Umarmung später stehe ich im Nieselregen und sehe Sandra ins Auto steigen und davonbrausen. Eine Wohnungsbesichtigung im Bachletten steht an. Auf Insta postet sie derweil Fotos von sich und Miguel im sonnigen Sevilla.