Auch in Basel gibt es kleine «Vom Tellerwäscher zum...»- Geschichten. Die sind besonders beeindruckend, wenn sie auch noch in den USA starten, wo Armut weniger von sozialen Strukturen aufgefangen wird. Wo Armut heisst, keine Krankenversicherung zu haben, keine Perspektive und wenig zu essen. Man in einem Brennpunkt wohnt, wo Kriminalität an der Tagesordnung ist. Wenn man überhaupt ein Dach über dem Kopf hat, kann man froh sein – aktuelle Trends bestätigen das. In diesem Milieu in Brooklyn wuchs der Basler Armando Braswell auf. Er hat es geschafft: Heute ist er der Leiter des renommierten Braswell Art Centers, wo die Tanzprofis von morgen ausgebildet werden, aber auch einfach alle Tanzliebhaber auf ihre Kosten kommen. Über seinen erfolgreichen Weg wollen wir natürlich mehr erfahren.
Und so treffen wir Armando am Eingang des Centers in der Aeschenvorstadt 52, wo die Tanzschule vor einem Jahr ihre neuen Räumlichkeiten bezogen hat. Kaum vorstellbar, dass hier vorher ein dunkles, dem Neonlicht verschriebenes Lasertec die Räume bespielt hat. Jetzt stolpert man direkt in ein Café, das gleichzeitig auch Empfang und Warteraum ist und vom Innendesign eher an ein Wellnessretreat erinnert. Alles ist im reinlichsten Weiss gehalten, dezent rosa Magnolienblüten zieren die Tische. Einzig die Leinwand gibt einen Hinweis darauf, dass hier getanzt wird – einen Stock tiefer. An den Tischen verteilt sitzen ein paar Eltern, trinken Kaffee und warten auf ihre Kinder. «Wir wollten den Empfangsbereich bewusst offen gestalten, als Cafè und Bistro kreieren, wo etwas passieren darf und wo man auch eine Kleinigkeit essen kann», betont Armando auf seine warmherzige Art. Irgendwie drängt sich der Gedanke auf, dass das glänzende und reinliche Weiss auch als Gegensatz zum eintönigen und schmutzigen Grau seiner Vergangenheit in Brooklyn stehen könnte.
Ein Aussenseiter mit grosser Begabung
Dort wuchs Armando in den 80ern als Adoptivkind unter Armut auf. Schnell merkt er jedoch, wie Bewegung und Tanz ihm im Blut liegen und wie der Tanz ihm hilft, sich als «normales Kind» zu fühlen. «Wenn ich getanzt habe – anfangs klassisches Ballett – habe ich mich nicht als Aussenseiter gefühlt, denn beim Tanzen sind alle gleich», erinnert sich Armando. «Und als Aussenseiter fühlte ich mich oft, denn ich war arm, ein Adoptivkind und schwarz. Allerdings war der Zusammenhalt im Viertel auch gross und wenn mich jemand als Balletttänzer belächelt hat, sorgten meine Kumpels mit einem Spruch für Ruhe.» Aus der Hoffnung, dass der Tanz sein Ticket aus der Armut sein könnte, wurde rasch Bestätigung. Sein Talent wurde mit zahlreichen Stipendien gefördert, bis er schliesslich an die Juilliard School in New York kam, wo er 2006 seinen Bachelor in Fine Arts machte.
«Das war ein wichtiger Schritt für mich. Damit hatte ich es endlich geschafft.» Nach der Uni ging er nach Europa, arbeitete erst als Solotänzer am Ballettheater München, dann am Theaterhaus Stuttgart, bevor er 2012 nach Basel kam, wo er – ebenfalls als Solist – unter der Intendanz von Richard Wherlock einige Jahre engagiert war. Immer an seiner Seite: seine Frau Lisa, ebenfalls Tänzerin. Die beiden lernten sich bereits mit 15 Jahren kennen und verliebten sich sofort – «Highschool sweethearts». «Es hat aber drei Monate gedauert, bis ich mich getraut habe, nach einem Date zu fragen.» Gut, hatte er den Mut gefunden. Die beiden sind ein eingeschweisstes Team, egal ob es um die Führung des Tanzcenters geht, wo Lisa hauptsächlich für die Administration verantwortlich ist. Oder um die Erziehung der beiden Söhne. Hier würde man erwarten, dass zumindest einer der Söhne in die Fussstapfen des Vaters tritt. «Keine Chance. Sie spielen lieber Basketball. Und das sogar verdammt gut, manchmal spiele ich mit ihnen», schmunzelt Armando.
In Basel eine neue Heimat gefunden
Doch zurück zu 2012. Bis 2019 arbeitete er im Ballettensemble des Theater Basels, bevor er sich gemeinsam mit seiner Frau selbstständig machte. Zusammen eröffneten sie 2017 das Braswell Arts Center an der Austrasse, wo Armando lange der einzige Tanzlehrer war und sich durch die Doppelbelastung fast in ein Burnout katapultierte. Doch sein Talent und seine einnehmende Art sorgten dafür, dass sich die Tanzschule schnell zu einem Hotspot des Tanzens entwickelte, wo auch die Profis hingehen. Weitere Tanzlehrerinnen und Tanzlehrer wurden eingestellt. Heute zählt das Center 400 Mitglieder und 30 Mitarbeitende. «Wir haben am neuen Standort sogar Kapazitäten für 700.» Um die zu erreichen, wird Armando nicht müde, neue Konzepte zu kreieren, bei denen sein Faible für Alliterationen durchkommt: sei es bei Burgers, Bier und Ballett oder bei Silver Swans. Nach wie vor steht Armando jeden Tag in der Tanzschule und unterrichtet – alle Altersklassen. «Diversität ist mir wichtig, bei mir selbst, aber auch was das Angebot angeht.» Ob er es jemals bereut hat, nach Basel gekommen zu sein? «Never», kommt wie aus der Pistole geschossen. «Ich bin so froh, dass wir diesen Schritt gegangen sind, wir fühlen uns hier richtig heimisch, geniessen die Stadt, gehen gerne am Rhein spazieren und haben sogar einen Wickelfisch zum Rheinschwimmen. Fehlt nur noch eines, oder? Armando schmunzelt: «Seit letztem Jahr ist unser ältester Sohn eingebürgert. Wir anderen sind dran.» Mit New York bleibt er dennoch verbunden, reist einmal im Jahr in die Metropole. Und kommt dann manchmal mit Tänzern im Gepäck zurück.