Sie waren noch nie in Japan. Mit dem Schneidern von Kleidungsstücken kannten sie sich nicht aus. Genauso wenig mit Kupplungsmotoren alter Nähmaschinen. Aber da war diese Idee und die schrie nach Verwirklichung. «Begonnen hat alles mit einer Hose von Zara», erzählt Kati. «Da waren Kraniche aufgedruckt und darum fragten mich die Leute immer wieder, ob das ein Kimonostoff sei. Tatsächlich hatte ich mir schon mal einen Kimono an einem Flohmarkt gekauft, weil ich den Stoff so wunderschön fand. Ich wollte ihn als Morgenmantel nutzen, fegte mit den riesigen Ärmeln aber ständig alles vom Tisch.» So kam Kati auf die Idee, den Stoff ausgedienter Kimonos zu praktischeren Kleidungsstücken zu verarbeiten. Sie erzählte ihrer Freundin Barbara davon. Diese reagierte wenig begeistert. Erst ein paar Tage später fand sie: «Lass uns das Mal versuchen.»
Geht nicht? Gibts nicht.
Katharina Oehler und Barbara Wenk setzen neben ihrer Arbeit als Kindergärtnerin und Biologin schon länger kreative Ideen um. Mit Stoff hatten sie zwar nie zu tun, aber das war für die beiden kein Hindernis. Sie bestellten im Internet ein paar Secondhand-Kimonos und trennten die Nähte auf. «Da merkten wir, dass dabei immer vier Stoffbahnen in derselben Breite herauskommen», so Barbara. «Mit denen haben wir dann verschiedene Dinge ausprobiert: Hot Pants. Jumpsuits. Am Ende sind wir bei der Bomberjacke gelandet.» Kati schmunzelt: «Für uns war das Ganze einfach eine interessante Auseinandersetzung. Darum sind wir da so unverfroren rangegangen.» Der Lerneffekt blieb nicht aus. Sie fuchsten sich ein in die Funktionsweise verschiedener Nähmaschinen. Sie übten sich darin, zarte Seidenstoffe zu verarbeiten. Sie eigneten sich Wissen über die Web- und Färbtechniken von Kimonos an. Sie lernten, den Schnitt einer Jacke zu kreieren. «Ein halbes Jahr haben wir dafür bestimmt gebraucht», lacht Barbara. «Plötzlich haben wir realisiert; aha, da gibt es Menschen, die haben dafür eine Ausbildung», ergänzt Kati. «Ich wusste nicht, dass Schnitttechniker ein Beruf ist – das macht aber durchaus Sinn!»
«Du läufst nicht geradeaus und machst eine Jacke. Du gehst mal links, mal rechts.» Katharina Oehler
So sind die beiden laufend in unterschiedlichste Teilgebiete eingetaucht, können heute den Kupplungsmotor ihrer alten Industriemaschine warten, nähen mit Links einen Reissverschluss ein und wissen, wie eng Baumwollbündchen gestrickt sein müssen, damit sie zu den zarten Kimonostoffen passen. Schwierigkeiten entlang des Weges haben sie nie als Stolpersteine gesehen, sondern als Herausforderung, sich noch in einem weiteren Bereich zu vertiefen. «Du läufst nicht geradeaus und machst eine Jacke. Du gehst mal links, mal rechts. Um am Ende ein stimmungsvolles Produkt zu präsentieren, musst du bereit ein, überall in die Tiefe zu gehen», weiss Kati und grinst ihre Freundin an: «Barbara ist nun zum Beispiel ein wandelndes Kimono-Lexikon!» Barbara schmunzelt: «Genau, ich arbeite zwar nicht mehr als Biologin, dafür wende ich die systematische Botanik auf die Blumen im Kimono-Muster an. In einem unterdessen rund 200 Seiten umfassenden Dokument sammle ich alle Informationen zum Thema. Ich kenne die Blumennamen sogar auf Japanisch.» In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hat sich so auch die Zikade – der Arbeitsname des kleinen Unternehmens – zum Kimono verwandelt und durfte bleiben. «Je nachdem, wie man Zikade ausspricht, tönt’s fast ein wenig japanisch», finden die beiden.
Aus Neugier und Liebe für das Schöne
Fünf Jahre ist es her, seit Kathi und Barbara ihren ersten Kimono aufgetrennt haben. Seither kamen viele Pakete aus Japan in ihrem Atelier im Walzwerk Münchenstein an. Rund 100 Kimonos verarbeiteten sie bislang zu coolen, vielseitig tragbaren und vor allem einzigartigen Männer- und Frauenblousons. Um Geld zu verdienen, arbeiten beide noch in anderen Jobs, zudem haben sie Familie. Es ist also viel los in ihrem Leben, doch, so Kati: «Wofür willst du leben, wenn nicht für das, was du gerne tust?» Barbara ergänzt: «Wir fragen uns nicht, ob wir das können – wir machen einfach das, was wir lieben. Und weil es eine Herzenssache ist, ‘verhebt’ es auch.»
«Wir fragen uns nicht, ob wir das können – wir machen einfach das, was wir lieben.» Barbara Wenk
Heute arbeiten die beiden zeitweise mit externen Näherinnen zusammen und lassen ihre Schnittmuster von Profis anfertigen. Die teilweise bis zu 100 Jahre alten Kimonos trennen sie nach wie vor minutiös von Hand auf. «Manchmal findest du im Ärmel noch etwas von der Person, die den Kimono getragen hat», erzählen sie. «Tabakresten zum Beispiel oder ein Nastüchlein.» Ihre Augen leuchten. Kathi und Barbara brennen für das, was sie tun. Mit grosser Hingabe, mit Offenheit, Neugier, Spass und Liebe für das Schöne verfolgen sie ihre Ziele. Nur einem Punkt konnten sie sich bislang noch nicht widmen: Die Reise nach Japan steht bei beiden noch aus.