Je virtueller meine Welt wird, je unnatürlich perfekt die Bilder aussehen, die mein Algorithmus mir täglich in die Timeline spült, desto stärker mein Bedürfnis nach Realität. Nach Schwielen, Schweiss und schmutzigen Händen. Nach Langsamkeit, Natur und Handwerk. Und da geht es nicht nur mir so.
Heute wird Selbstgemachtes zum höchsten Gut.Zoe Vai
Dass sich im Kleinbasel sechs Keramikerinnen zum Keramik Kollektiv mit gemeinsamem Laden zusammengeschlossen haben, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass das rund 30'000 Jahre alte Handwerk seit einiger Zeit einen Höhenflug erlebt. «Jetzt ist eine gute Zeit für Keramik», bestätigt Gabriela Zivy-Alderete, die in ihrer Werkstatt im Gundeli Porzellan und Steinzeug verarbeitet. «Heute wird Selbstgemachtes zum höchsten Gut», weiss auch Zoe Vai. Die ausgebildete Designerin und Keramikerin entwickelt eigene Glasuren aus Gesteinen, arbeitet mit Bauschutt und Industrieabfällen und trifft damit den Nerv der Zeit: Ihre Arbeiten sind unter designaffinen Menschen sehr beliebt, sie kann Geschirr für hippe Bars und Restaurants produzieren oder auch mal Fliesen für architektonisch hohe Ansprüche.
Die Szene ist klein, wir kennen uns untereinander alle.Zoe Vai
Einzelkämpferinnen schliessen sich zusammen
Doch, wie alle Keramikerinnen in Basel und der ganzen Schweiz, nur vom Verkauf ihrer Produkte können weder Zoe noch Gabriela leben. Sie und ihre Kollektiv-Kolleginnen leiten Werkstätten, geben Kurse, engagieren sich in anderen Projekten, machen Kunst. Helena Tapajnova arbeitet neben Keramik auch noch mit Glas und hat die ASAP-Studios mitbegründet. Esther Spychiger hat einen dermassen unverkennbaren Stil entwickelt, dass ihre organischen Gefässe heute unter anderem im Restaurant von Tanja Grandits zum Einsatz kommen. Auch Juliane Craemer und Barbara Wagner sind erfahrene Keramikerinnen, die regelmässig an Ausstellungen und Märkten teilnehmen. Barbara und Gabriela haben zusammen das Label abgedreht.ch und den Basler Keramikmarkt in der Markthalle gegründet. «Die Szene ist klein, wir kennen uns untereinander alle», schmunzelt Zoe. «Zudem haben Gabriela und ich beide argentinische Wurzeln – wir waren daher besonders schnell connected.»
Dass die sechs Frauen nun seit einem Jahr das Keramik Kollektiv an der Breisacherstrasse führen, ist aus einer Idee von Gabriela entstanden, der das Konzept auf Reisen aufgefallen ist. «In anderen Ländern gibt es Läden – oft an touristisch bester Lage – die von mehreren Töpfern gemeinsam betrieben werden», erzählt sie. «Alle präsentieren ihre Waren und teilen sich die Laden-Arbeit auf.» Genauso machen es die sechs Frauen nun auch. Der Laden ist ihr Schaufenster, denn ihre Arbeit, die in privaten Ateliers stattfindet, sieht man ansonsten kaum. Jeweils freitags und samstags öffnen sie ihre Türen, zweimal im Jahr organisieren sie einen Keramikmarkt. Auch Aufträge nehmen die sechs gerne entgegen, gestalten ganze Geschirrsets oder einzelne Vasen und Schalen nach Wunsch.
Wer wie ich das Bedürfnis hat nach perfekt unperfekter, mit grossem Können handwerklich hergestellter Keramik, wird sich hier schockverlieben. Wer Lust hat auf ein persönliches Gespräch mit spannenden Frauen ebenfalls. Analog rockt. Einmal mehr und immer wieder.