Kommt es vor, dass du nach der Arbeit im Auto sitzt und einen Radio-Song mitsingst?
Tatsächlich höre ich selten Musik über Radio oder CD. Wenn ich den ganzen Tag mit dem Orchester arbeite, dann beschäftigt mich das über den Feierabend hinaus. Da gehen mir ganz viele Melodien durch den Kopf – oft kann ich deshalb lange nicht einschlafen. Als Dirigent bin ich mittendrin in der Musik. Das hat eine Energie, die kann ich nicht auf Knopfdruck abschalten. Ich liebe aber jede Art von guter Musik, habe selbst viel Jazz gespielt. Auch im Rock oder HipHop gibt es fantastische Künstlerinnen und Künstler und ich würde mir wünschen, ich hätte mehr Zeit und Musse, um mich auf all die neuen Sounds einzulassen.
Gehst du auch mal an ein Rockkonzert?
Ich gehe grundsätzlich kaum in Konzerte - einfach aus Zeitmangel. Am liebsten dann aber in Jazzclubs. Ich bin ein grosser Fan von Brad Mehldau, von Keith Jarrett auch, Oscar Peterson, Miles Davis, John Coltrane, Sonny Rollins - das sind meine Götter. Brad Mehldau ist ja auch immer mal wieder am Jazzcampus in Basel und ich hoffe sehr, dass wir mal was zusammen machen können. Ich freu mich übrigens auch auf das Bird’s Eye in Basel!
Meinst du, wir hören dich da mal auf der Bühne am Klavier?
An Ideen mangelt es mir nicht – aber nicht im Bird’s Eye, mein Reich ist der klassische Konzertsaal. Mein Herz schlägt für den Jazz und ich denke viel darüber nach, wie die beiden Welten, Jazz und Klassik, zusammenzubringen sind. Wir haben bereits mit der Planung begonnen.
Für mich gab’s nie eine wirkliche Alternative zur Musik.
Was wolltest du werden als Bub?
Astronaut. Ich wollte unbedingt zu den Sternen fliegen, das Weltall, der Nachthimmel hat mich sehr fasziniert. Dennoch habe ich bereits sehr früh mit Klavierspielen begonnen, später kamen weitere Instrumente hinzu. Für mich gab’s letztlich nie eine wirkliche Alternative zur Musik. Meine Eltern sind beide Musiker, mein Bruder ist Geiger. Da entkommst du dem Schicksal nicht …
Gibt es einen speziellen Moment, an dem dir die Magie der Musik bewusst wurde?
Ich erinnere mich, dass ich als Kind bei meinem Vater, der ebenfalls Dirigent war, in einer Probe zur Egmont Ouvertüre von Beethoven sass. Ein unfassbar dramatisches, enthusiastisches und kraftvolles Stück. Da waren 70 oder 80 Leute auf der Bühne, die diese enorme Power entfachten und ich als kleiner Junge direkt daneben; das hat mich nie wieder losgelassen.
Du hast Klavier studiert und dich dann für eine Karriere als Dirigent entschieden – warum?
Ich merkte bereits im Studium, dass ich mich nicht acht Stunden zum Üben in eine Kammer zurückziehen kann. Das Eremiten-Leben ist nichts für mich. Mir hat es immer grosse Freude gemacht, mit Menschen zu arbeiten. Schon als Student habe ich Chöre und Orchester geleitet – das fand ich viel spannender.
Mit Musik sagen wir Dinge, für die wir im Alltag keine Worte haben.
Was fasziniert dich daran, die Musik anderer zu interpretieren?
Mit Musik sagen wir Dinge, für die wir im Alltag keine Worte haben. Jedes Musikstück erzählt von einer unsichtbaren, geheimnisvollen Welt. Mein Ziel ist es, in dieses imaginäre Reich einzutauchen. Und ich versuche, so viele Menschen wie nur möglich mitzunehmen auf diese Reise.
Gibt es Orchester, mit denen funktioniert die Arbeit einfacher als mit anderen?
Ja. Das ist wie in Beziehungen. Es gibt Leute, denen bist du sofort sympathisch, andere kennst du ewig und da ist dennoch immer eine Wand – das ist im Orchester auch so. Dennoch sind alle guten Orchester sehr professionell und fokussiert auf die eigentliche Arbeit. Ein Weltspitzen-Orchester wie das Sinfonieorchester Basel aber ist unglaublich schnell, extrem flexibel und hat eine enorme Bandbreite an Ausdrucksmitteln. Ab der ersten Sekunde hast du eine extreme Konzentration. Alle sind sofort miteinander verbunden, um das Maximum zu erreichen.
Du arbeitest auf der ganzen Welt mit den besten Orchestern. Warum hast du dich zudem für das Engagement beim Sinfonieorchester Basel entschieden?
Das war eine reine Bauchentscheidung - und das ist immer das Beste. Ich habe das Orchester vor drei Jahren erstmals dirigiert. Sofort war Vertrauen da und ich merkte: wir ziehen alle an einem Strang. Auch das Team rund um das Orchester finde ich grossartig. Zudem habe ich eine grosse Sympathie für Basel. Ich kann das nicht erklären, die Stadt entspricht mir sehr, ich fühle mich hier wohl.
Wo ist bei dir zuhause?
Das ist bei mir – ja – hm. Ich möchte jetzt nicht pathetisch klingen, aber ich empfinde mich als Weltbürger. Ich bin Münchner. Und natürlich werde ich zu München immer eine besondere Verbindung haben. Aber ich kann mir vorstellen, überall zu leben. Ich finde es unglaublich inspirierend, viel zu reisen und Neues kennenzulernen. Ich bin ein Mensch, der immer wieder aufbricht und gerne frische Luft atmet.
Ich habe eine grosse Sympathie für Basel.
Welche Pläne hast du für Basel?
Als Dirigent will ich Nähe herstellen, ich will an die Menschen ran. Darum haben wir auch neue Formate entwickelt, bei denen wir das Publikum zu uns in die Probe einladen. Im Konzert ist es ja immer ein wenig wie im Gottesdienst. Da ist Stille und Andacht. Das hat seine Berechtigung. Aber wir müssen das ergänzen und erweitern. Wenn wir eine gesellschaftliche Rolle spielen wollen, haben wir dafür sorgen, dass wir zueinander finden. Das ist im Prinzip gar nicht so schwer - und wir haben viele Ideen ...
Und persönlich? Fasnacht? ART? Rheinschwumm?
Freilich! Alles! Ich hab auch schon einen Schwimmsack …
Fünf Minuten, bevor das Konzert startet – wo bist du, wie geht es dir?
Ich bin konzentriert. Das ist immer eine aussergewöhnliche Situation, auch wenn ich schon tausende Konzerte gemacht habe. Ich habe kein bestimmtes Ritual. Ich brauche nur Stille, zur Ruhe kommen, atmen, mich innerlich darauf vorbereiten.
Kannst du den Alltag hinter dir lassen, sobald du auf der Bühne stehst?
Ja. Dennoch ist jeder Tag anders. Es schwingt alles mit. Vielleicht hattest du einen brillanten Tag und bis voller Endorphine oder umgekehrt, es war grauenhaft, du hast nicht geschlafen. Das macht etwas mit dir. Wenn dann etwas besonders gut und intensiv gelingt, spürt das das Publikum. Das sind Momente, die vergisst du als Zuhörer nicht, an die erinnerst du dich dein Leben lang. Ein Konzert kann dein Leben verändern. Ich weiss nicht, wie und ich kann es nicht garantieren, aber es ist möglich.
Ich bin ein Typ, der immer wieder aufbricht und gerne frische Luft atmet.
Was ist für dich der schönste Moment in deinem Arbeitsleben?
Der schönste Moment ist, wenn sich alles einlöst. Wenn du auf die Bühne gehst, das ganze Orchester ist da, der Saal ist voll, es kommt alles zusammen. Am Ende ist das entscheidende Element nämlich immer das Publikum. Das ändert alles. Die Atmosphäre, die Intensität, den Sinn. Da sind andere Emotionen, ein anderer Fokus, Nervosität, noch mehr Inspiration – das ist eine Verstärkung von allem, unbeschreiblich und durch nichts zu ersetzen.
Freust du dich auf Basel?
Sehr! Seit zwei Jahren planen wir, diskutieren, denken uns Konzepte aus – jetzt endlich komme ich zu meinem eigentlichen Job: Musik machen!