Die Uhr steht kurz vor 08.30 Uhr am Gymnasium Kirschgarten: Beatbox und ein paar Gitarren-Riffs. Dazu eine leicht raue Stimme, die im Gesamtpaket ein bisschen an die Multi-Instrumentalistin Tash Sultana erinnert. Das Gesicht, das jedoch vor der grossen schwarzen Wandtafel erstrahlt, ist ein uns bekanntes: Die aufstrebende Thuner Sängerin Veronica Fusaro führt die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten mit dem Ergänzungsfach Musik heute in die Welt des Songwritings ein. «Homestudio – oder: wie jeder im Keller Musik produzieren kann», so der Titel ihrer Präsentation.
Knapp 20 Nasen sitzen gebannt da. Die Jungs nicken zu ihren Beats, erste Grinsen huschen über Gesichter. Mit dem Einsetzen Veronicas Stimme beginnen sogar die Körper zu zucken: Gänsehaut-Moment!
«Ig wirdä uff Bärndütsch redä, wenn das für alli okay isch», stellt sich die 21-Jährige vor, nachdem sie Ed Sheerans «Shape of you» zum Besten gab.
Auf einer Karte zeigt sie, wo ihre Heimatstadt Thun liegt; das Haus, in dem sie lebt: «In diesem Haus hat es einen Keller», erzählt sie. Und in diesem Keller entsteht Veronica Fusaros Musik. Dazu setze sie einfach verschiedene Teile zusammen: «So eifach isch das!» Nun ja, nicht ganz …
Wer den Pop-Star vor zwei Wochen auf der Bühne der Baloise Session erleben durfte, ahnt, dass nicht nur eine grosse Portion Talent, sondern auch enorm viel Ehrgeiz und Arbeit hinter Veronicas Erfolg steckt. «Ich liebe es, meine Musik mit der Welt zu teilen – komme also durchaus auch sehr gerne aus meinem Keller raus.» Die Baloise Session habe nicht nur «gfägt», sondern ist das Musik-Festival, seit nunmehr sechs Jahren Organisator der Musik-Workshops in Basler Schulen, auch der Grund dafür, wieso Veronica Fusaro heute im Gymnasium Kirschgarten steht.
Während ihrer Präsentation erzählt die passionierte Sängerin von früheren Zeiten. Aber nicht etwa davon, dass früher alles besser war. Sondern zeigt sie anhand der damaligen Bedingungen auf, inwiefern beispielsweise die Aufnahme in einem Tonstudio viel aufwändiger war als heute, wo moderne Technik Abhilfe schafft: «Als ich zum ersten Mal ein analoges Mischpult sah, fragte ich mich: okay, was isch jetzt das? Die Aufnahmen im Tonstudio waren nicht nur teuer, sondern hast du dafür immer auch einen Techniker und Engineer gebraucht. Ich vertrete die Meinung, dass heute das Gleiche mit nur knapp zehn Tools möglich ist.» Konkreter: mit Instrumenten, einem Mikrofon, einem Signalprozessor, einem Laptop und – hallo 2018! – verschiedenen Programmen: «Ihr kennt bestimmt einige davon. Mit ihnen kann man zum Beispiel Musik aufnehmen und Instrumente reproduzieren. Ich kann mit meinem Laptop also selbst im Flieger Musik machen!»
Der gute Freund Google
Ein Beat, ein melodisches Element, ein Text und ein Bass: Mit diesen vier Elementen habe man laut Veronica schon mal ein gutes Fundament, um ein Lied zu produzieren. «Die besten Songs sind meiner Ansicht nach sowieso diejenigen, die alleine mit einer Gitarre oder einem Klavier funktionieren», zeigt Veronica am vorher gespielten Hit von Ed Sheeran auf.
Doch auch wenn die digitalen Tools das Produzieren heute in vielerlei Hinsicht vereinfachen, wäre es falsch, analog mit digital vergleichen zu wollen: «Das sind zwei unterschiedliche Welten. Ich persönlich bin für eine gesunde Mischung. Sprich, ich arbeite digital vor und der Produzent führt dann analog aus.»
Die Schülerinnen und Schüler hören nicht nur interessiert zu, sondern bringen sich auch aktiv ein, beantworten ihre Fragen und fordern Veronica auf, selbst Red und Antwort zu stehen:
«Wie lange machst du schon Musik, hast du dir alles selbst beigebracht?» «Voll», antwortet Veronica, «Ich konnte mir kein Studio leisten und habe deshalb zuerst meinen guten Freund Google nach Hilfe gefragt. Musik zu machen, bedeutet tägliches Lernen.»
Gesungen habe die junge Bernerin schon immer, sei’s in der Schülerband oder im Schülerchor. «Erst mit 13, 14 Jahren habe ich aber begonnen, brauchbare Songs zu schreiben», erzählt sie. Erst …
Ein Wort reicht
«Was losisch du so für Musig?», will ein Schüler wissen. «Alles mögliche. Von Amy Winehouse bis zu Michael Jackson oder Janis Joplin. Hauptsächlich aber R’n’B und Soul. Gestern habe ich mich an der Baloise Session in Beth Hart verliebt!»
Ob sie auch ihre eigene Musik höre? «Naja, nicht unbedingt zum Genuss, ich habe meine Songs schon so oft gehört. Wenn sie dann aber im Radio gespielt werden, ist die Freude umso grösser.»
Und bis so ein Song im Radio erscheint, kann es bei Veronica Fusaro schnell mal eineinhalb Jahre dauern, tendenziell sogar länger. Manchmal beginne alles mit einem einzigen Akkord, der ihr gefällt, oder einem Wort. «Dann setze ich mich in meinen Keller und probiere aus.»
Wie ein normaler Tag in Veronicas Leben aussieht? Wer liebt diese Frage nicht? «Wenn ich kein Konzert habe, bin ich entweder im Keller oder arbeite an meinem Laptop; mach mir Gedanken zu Videos oder sitze mit meinem Manager zusammen.» Einen klassischen Tagesablauf gäbe es nicht.
Soviel zum Thema, wie «einfach» das doch alles sei … «Zum Erfolg ist es ein langer Weg», gibt sie später zu, «Es passiert nichts einfach über Nacht. Du lernst, Instrumente zu spielen, Songs zu schreiben, spielst auf Strassen …»
Heute rockt Veronica Fusaro rund 120 Bühnen pro Jahr. Ob sie auch mit Spotify Geld mache, will eine weitere Stimme wissen. «Pro gehörtem Song gibt es ein paar Rappen. Ich verdiene mein Geld jedoch hauptsächlich mit Konzerten. Spotify sehe ich eher als Sprungbrett, um übers Internet irgendwo zu landen. Die meisten Zielgruppen erreichst du aber nach wie vor mit YouTube», erklärt sie.
Vor ein paar Jahren noch sass Veronica selbst als Schülerin in einem Gymnasium. Hat sich danach ein Jahr lang auf die Musik konzentriert und sich gleichzeitig an der Uni angemeldet. «Wie ihr seht, bin ich heute nicht an der Uni. Ich liebe es wirklich, Musik zu machen!»
Umso mehr freuen sich alle im Raum über die nächste Frage: «Könntest du uns mal dein neues Lied vorspielen?» «Sehr gärn!»
Die Idee für «Venom» ist Mitte 2017 in London entstanden. Am 19. Oktober spielte sie den Song an der Baloise Session erstmals live vor Publikum.
Und heute Morgen macht sie uns deutlich, dass es zwischen Talent und Genie einen gewaltigen Unterschied gibt. Veronica Fusaro gehört definitiv zur zweiten Gattung: ein Genie, das mit einer Extraportion Talent geboren wurde. Veronica spürt die Musik nicht nur, sondern verschmilzt ab dem ersten Ton mit ihr. Und ihre Stimme drückt direkt auf die Tränendrüse. So eifach isch das!
Bilder: Pascal Feig