Zeitgenössische Kunst hat in Basel schon immer für Stirnrunzeln gesorgt. Elena Filipovic, Direktorin der Kunsthalle Basel, erzählt von irritierten Vätern, zukünftigen Weltstars und von einem Schulausflug, der ihr Leben veränderte. Und sie stellt klar: Die Kunsthalle Basel ist seit 150 Jahren wegweisend für die Kunst des «Jetzt» – eine Tatsache, die wohl überall bekannter ist als in Basel selbst.

Kunst auszustellen die populär ist, weil weltweit anerkannt, teuer gehandelt und heiss begehrt – das ist eine sichere Bank. Ein Risiko aber ist es, Kunst auszustellen, die so noch nie dagewesen ist, von deren Erschafferinnen und Erschaffer man noch nie etwas gehört hat. Seit 150 Jahren geht die Kunsthalle Basel dieses Abenteuer ein. Und ist damit in der internationalen Kunstszene laut Direktorin Elena Filipovic «absolut aussergewöhnlich». 

 

Die Kunsthalle Basel ist überall sehr viel bekannter als hier.
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In Basel ist diese Tatsache weniger verbreitet. «Die Kunsthalle Basel ist überall sehr viel bekannter als hier», ist sich Elena bewusst. Seit sieben Jahren ist sie für das Programm und den internationalen Ruf verantwortlich. Sehr viel länger schon weiss sie um das hohe Ansehen des Ausstellungshauses in der Szene. «Wenn du dich in Europa umschaust nach Institutionen, die am Puls zeitgenössischer Kunst arbeiten, dann gelangst du sehr schnell zur Kunsthalle Basel», erzählt sie. Hier wurde schon Paul Klee, Edvard Munch, Emil Nolde, Pablo Picasso, Sophie Taeuber-Arp oder Piet Mondrian gezeigt – lange bevor sie weltweit berühmt waren. 

 

Ich glaube, dass es auf der ganzen Welt keine Institution gibt, die in dieser Hartnäckigkeit und Konsequenz getan hat, was die Kunsthalle Basel seit 150 Jahren tut.

Die zeitgenössische Kunst stiess bei der Basler Bevölkerung immer wieder auf Unverständnis und sorgte für starke Reaktionen. Dass sein Sohn, obwohl noch in der ersten Klasse, ein Konstruktivist sei, steht auf einer Kinderzeichnung, die ein begeisterter Vater 1937 nach dem Besuch der Mondrian-Ausstellung an die Kunsthalle Basel schickte. Nach der Ausstellung von Jackson Pollock 1958 versuchte der damalige Konservator der Kunsthalle das Kunstmuseum vom Kauf eines Pollock-Gemäldes für 12'000 Dollar zu überzeugen. Weil dieser Künstler wichtig sei und dereinst Kunstgeschichte schreiben werde. «Die Antwort war: Nein!», schmunzelt Elena heute. «Das Publikum war erschrocken angesichts dieser Art von Kunst. Und ist es manchmal heute noch. Ich glaube daher, dass es auf der ganzen Welt keine Institution gibt, die in dieser Hartnäckigkeit und Konsequenz getan hat, was die Kunsthalle Basel seit 150 Jahren tut.»

 

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Elena ist sich unterdessen gewohnt auf Zurückhaltung zu stossen, wenn sie sich nach finanziellen Patenschaften für eine geplante Ausstellung umsieht. Während sie in ihren Anfängen an sich und ihrer Arbeit zweifelte, wenn sie mal wieder vor verschlossenen Türen stand, weiss sie heute: Die Direktoren der Kunsthalle Basel hatten es noch nie leicht. Ihre Überzeugungs-Strategie hat Elena unterdessen angepasst. «Wenn mir heute eine potenzielle Förderin sagt; sorry, aber diese Künstlerin kennt ja keiner, dann sage ich: Genau, und das bedeutet, dass ich meinen Job richtig mache! Diese jetzt noch unbekannte Person erhält durch uns die Chance, der Paul Gauguin oder der Henri Matisse von morgen zu werden. Manchmal komme ich mit dieser Argumentation zum Ziel – manchmal eben nicht.» 

 

Tatsache ist: In der Kunsthalle Basel begannen unzählige Karrieren und sie tun es bis heute. Für die Besuchenden ist das besonders reizvoll, weil sie live dabei sein können, wenn ein neuer Stern zu leuchten beginnt. Aber auch, weil die Kunstschaffenden fast immer explizit neue gewagte Werke für ihre Ausstellungen in Basel kreieren. «Das erhöht für uns natürlich das Risiko», erklärt Elena. «Wir müssen ihnen vertrauen, dass sie das bedeutungsvollste, spektakulärste oder provokanteste Werk ihrer bisherigen Karriere für uns schaffen. Das ist ein bisschen wie Zocken im Casino – hat bisher aber immer funktioniert!». Die Stars von morgen gewinnen durch dieses Vertrauen und die Unterstützung in Basel Selbstbewusstsein. «Sie sehen, dass das, was sie machen wichtig ist und dass Menschen an sie glauben», so Elena. Die enorme Liste ausgestellter Kunstgrössen spricht jedenfalls Bände: Claude Monet, Vincent van Gogh, Ernst Ludwig Kirchner, Fernand Léger, Miriam Cahn, Fischli/Weiss, Mark Rothko, Jenny Holzer, Jeff Wall, Katharina Fritsch, Cindy Sherman, Mike Kelley, Roni Horn, Ólafur Elíasson, Maurizio Cattelan… Sie alle und noch viele weitere waren hier, als noch kaum jemand sie kannte.  

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Einige von ihnen haben ihre Spuren in der Stadt hinterlassen, auf die mich Elena auf einem Spaziergang hinweist. Jonathan Borofsky zum Beispiel zeigte einen ‘Hammering Man’, der heute am Aeschenplatz steht, zuvor im grossen Oberlichtsaal der Kunsthalle. Richard Serra hatte hier eine grosse Einzelausstellung, Jahre bevor er der Stadt die Skulptur ‘Intersection’ auf dem Theaterplatz vermachte. Auch der Fasnachtsbrunnen von Jean Tinguely, dessen Idee sich während dem Aufbau seiner Ausstellung in der Kunsthalle manifestierte, oder die Amazone von Carl Burckhardt bei der Mittleren Brücke, welche der Basler Kunstverein in Auftrag gegeben hatte, sind mit der 150 Jahre jungen Institution verknüpft. Im Café Spitz traf sich der Basler Kunstverein, bevor der Architekt Johann Jakob Stehlin das neoklassizistische Gebäude am Steinenberg entwarf. Und eben dieses Gebäude konnte nur gebaut werden, dank der Einnahmen aus dem Fährbetrieb in einer Zeit, als es am Rheinknie erst eine, die Mittlere, Brücke gab – auch die Basler Fähren sind also wichtiger Teil der Kunsthalle-Geschichte. 

 

Die Kultur macht Basel enorm gross.

Elena Filipovics Energie und ihre Begeisterung für die Kunst sind so eindrücklich wie mitreissend. Sie brennt für das, was sie tut, man könnte meinen, die Leidenschaft für das Aussergewöhnliche sei in ihrer DNA verankert. In Los Angeles aufgewachsen, kam sie jedoch nicht in ihrem Elternhaus mit Kunst oder Kultur in Berührung. Ein Ausflug war es, der ihr Leben veränderte: «Als ich fünf Jahre alt war, gingen wir mit dem Kindergarten in ein Museum. Es war pure Magie!», erzählt sie mit leuchtenden Augen. «Von da an war ich besessen von Kunst und Museen und ging meiner Mutter so sehr auf die Nerven, dass sie beschloss, mir die echten Museen zu zeigen. In Europa. Um Geld zu sparen suchte sie sich einen zweiten Job. Im folgenden Sommer sah ich den Louvre zum ersten Mal von innen. Da war ich sechs.» 

 

Seit 20 Jahren lebt Elena Filipovic unterdessen in Europa, wohnte in Paris, Brüssel, Berlin. Klar, hatte sie vor der Kleinstadt Basel erst einmal Respekt. Heute fühlt sie sich in Basel jedoch zuhause - «oder vielleicht eher: In der Kunsthalle!», ergänzt sie lachend, «ich bin ja physisch und gedanklich meistens hier.» Allerdings habe sie sich in Basel nie wie in der Provinz gefühlt. «Die Kultur macht Basel enorm gross», findet sie. Ob sie im Sommer auch mal in den Rhein hüpfe, will ich von ihr wissen: «Ja!», sagt sie energisch und in gepflegtestem Deutsch: «Natürlich!». Sie versteht prima Deutsch unterdessen, antwortet aber lieber auf Englisch. In der Muttersprache erzählt es sich einfach besser. 

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Die wahre Kunst ist es, den richtigen Zeitpunkt zu finden, an dem Kunstschaffende bereit sind für die Kunsthalle.

Und erzählen kann Elena viel. Zum Beispiel davon, wie sie die Stars von morgen findet. «Das ist ein bisschen, wie die grosse Liebe zu finden – du weisst nie, wo sie sich versteckt!». Das Problem sei aber weniger, auf talentierte Künstlerinnen und Künstler zu stossen. «Die wahre Kunst ist es, den richtigen Zeitpunkt zu finden, an dem Kunstschaffende bereit sind für die Kunsthalle. So dass eine Ausstellung bei uns das Beste aus ihnen hervorbringt und sie nicht unter dem Gewicht der Aufgabe zerbrechen. Diesen Punkt zu finden ist heikel und reine Intuition.»

 

«Bis heute ist die Kunsthalle ein Ort, an dem du nie weisst, worauf du dich als nächstes einlässt. Du siehst aber garantiert immer etwas, das dich zum Nachdenken anregt – ungeachtet dessen, ob’s dir nun gefällt oder nicht», ist sich Elena sicher. Ob sie noch nervös sei vor einer neuen Ausstellung, will ich von ihr wissen. «Ich bin immer nervös!», lacht sie. Und wird dann nachdenklich. «Auch weil wir gerade zwischen Krieg, ökologischer und humanitärer Krise leben und man sich natürlich fragen kann, was Kunst hier noch auszurichten imstande ist. Dennoch bin ich jeden Tag von neuem überzeugt davon, dass Kunst eine riesengrosse Rolle spielt. Weil die zeitgenössischen Kunstschaffenden unsere Gedanken provozieren, unsere Herzen, unseren Geist. Weil sie unsere Sichtweise auf die Welt verändern.»

Bilder: Gina Folly