Der Igelstachelbart, der leicht zitronig nach Kalbfleisch schmeckt, der Austernseitling, der als Fleischersatz taugt: Edelpilze eröffnen neue Geschmackserfahrungen. Und erobern gerade die Küchen der Stadt. Auch und vor allem dank dem Team der Stadtpilze, die verschiedene Varianten in einem Keller in St. Johann züchten.

Pilze sind faszinierende Wesen. Vielleicht weil sie ein eigenes Reich bilden und weder zu Pflanzen noch zu Tieren oder Bakterien zählen. Und man so wenig von ihnen weiss, ja das meiste gar nicht sieht, weil es unter der Erde verborgen bleibt. Vielleicht aber auch, weil sie manchmal aussehen wie mystische Wesen, die unbeweglich im Wald stehen und Schlümpfen, Feen und Insekten als Behausung oder Nahrung dienen – von uns Menschen vereinfacht in Gut und Böse eingeteilt. Vielleicht aber auch, weil sie – vom Baumaterial bis zum Speisepilz - so vielseitig verwendbar sind. Uns in der Bratpfanne besonders erfreuen, weil sie so unheimlich gut schmecken. Dabei geht die persönliche Speisepilzkenntnis häufig nicht über die bekannten Pilzsorten Champignon (de Paris), Seitling, Pfifferling und Steinpilz hinaus, auch wenn Freunde asiatischer Küche zumindest noch den Shiitake oder den Austernpilz kennen. Aber das wars oft schon. Oder wer hat schon einmal etwas vom Igelstachelbart oder Zitronenseitling gehört? 

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Nachhaltigkeit als wichtiges Anliegen

Gut, gibt es engagierte und pilzfreundliche Lokalmatadoren, die sich der Züchtung solch seltener Edelpilze angenommen haben. So wie David, Kaspar und Francesca in Basel. Unter dem Namen Stadtpilze züchten sie je nach Saison verschiedene Gourmet Speisepilze: Igelstachelbart, Austernseitling, Shiitake, Rosenseitling, Zitronenseitling, Pioppino, Kräuterseitlinge, Ulmenseitlinge. Auf Holzspänen und vielen anderen landwirtschaftlichen Abfallprodukten wie z.B. Sojaschalen. Nachhaltigkeit ist ihnen ein grosses Anliegen, weshalb sie anstelle von Kaffeesatz vermehrt Sägemehl aus dem Berner Oberland einsetzen. «Natürlich ist auch der Kaffeesatz ein Abfallprodukt und landet in Cafés und Restaurants im Müll. Aber die Sägespäne sind es eben auch, dabei aber in der Produktion CO2 neutral», so David. «Abgesehen davon ist es logistisch aufwändiger, den Kaffeesatz in den unterschiedlichen Orten abzuholen.» Einzig bei den Plastiksäcken mit speziellen Filtersystemen zur Anzucht mussten sie Abstriche machen, die kommen aus den USA. «Wir hätten lieber jemand aus Europa, aber der hiesige Markt ist erst im Aufbau», weiss David, der lange nach einer Alternative gesucht hat. 

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Das Stadtpilze-Trio von links: Kaspar Zimmermann, David Jucker und Francesca Savulla.

Ein Youtube-Video als Anstoss

Vor neun Jahren fing David an, Pilze zu züchten. Ohne vorher irgendetwas mit Pilzen am Hut zu haben. «David konnte man noch nicht mal zum Pilzsammeln im Wald überreden», schmunzelt Kaspar, der 2018 zum Team gestossen ist. Doch irgendwann sah David zufällig ein Youtube-Video über einen, der Pilze züchtet, das hat ihn neugierig gemacht. Er überredete seinen Kollegen, das mal auszuprobieren und so fingen sie an, bei David im Keller, Pilze zu züchten. Erst seit 2017 züchten sie als GmbH professionell Pilze, mittlerweile können sie davon leben. «Ich habe zwar Biologie studiert, aber dennoch war es absolutes Neuland und wir mussten viel lesen und ausprobieren», erinnert sich David, der damals in der Pathologie gearbeitet hat. Je mehr sie jedoch über Pilze lasen, desto mehr faszinierte sie die Welt dieser aussergewöhnlichen Lebewesen. Die Leidenschaft wuchs also mit der Zeit. «Man weiss vieles noch gar nicht, aber Pilze haben z.B. unglaubliche Strategien entwickelt, um zu überleben,» so Kaspar. Tatsächlich fand vor kurzem ein Wissenschafter sogar heraus, dass Pilze kommunizieren und zwar recht redselig, wobei der Informationsfluss in den Myzel-Netzwerken dem von Neuronen ähnele. Etwa 50 Wörter hat er ausgemacht. Pilze sind also wahre Quasselstrippen. Soweit, um mit ihren Zöglingen zu kommunizieren, sind die jungen Pilzzüchter noch nicht, allerdings haben sie durchaus Eigenheiten ausgemacht. So müssen sie für den heiklen Shiitake schon mal ein Gewitter imitieren, um ihn zum Fruchten zu bewegen. «In der Natur geht der Fruchtkörper bei einigen Pilzen erst auf, wenn dieser die Vibration des Gewitters spürt», erklärt David. Der Pilz wird also kurzerhand in seiner Tüte durchgeschüttelt, wenn er so weit ist. Sind das schon Allüren oder ist das noch Genügsamkeit?

In der Natur hat ein Pilz Jahre Zeit, um mit der Umgebung und deren Mikroorganismen zurecht zu kommen und sich abzuhärten. David
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Ganz schön heikle Pilze

Genügsam scheinen Pilze – zumindest in der Zucht – ganz und gar nicht zu sein. Während die einen bestimmte Wetterphänomene brauchen, gedeihen anderen nur auf einem bestimmten Substrat. Und alle Pilze benötigen die richtige Temperatur und eine sterile Umgebung. Im Keller und vor allem in den Zelten wo die Pilze vor sich her «fruchten», herrschen Bedingungen wie in einem Labor. Denn die grössten Feinde der Pilze sind andere Pilze, Bakterien oder Schmutz. «In der Natur hat ein Pilz Jahre Zeit, um mit der Umgebung und deren Mikroorganismen zurecht zu kommen und sich abzuhärten», weiss David. «In der Zucht wird alles beschleunigt und er kann in der kurzen Zeit keine Abwehrkräfte bilden.» Daher wird bereits das Substrat – die Mischung aus Sojaschalen, Holzspänen, Kaffeesatz oder Pellets - zuerst in einem Dampfkochtopf oder einem Autoklav erhitzt und damit entkeimt, sterilisiert. Dann erst mischt man die Starterkulturen unter. Bei den Stadtpilzzüchtern geht es dann vom Vorbereitungsraum eine Etage tiefer in den Keller, wo sie gelagert werden und fruchten können. Man erwartet, dass es hier unten extrem modrig riecht, doch das ist nicht der Fall. Es riecht erstaunlich neutral und frisch, was sicher auch an den Belüftern liegt. «Fehlende Luftzirkulation kann zu Fäulnis führen, weswegen wir ständig Lüfter und Ventilatoren im Einsatz haben», erklärt David. Aber selbst wenn man alles beachtet, kann ein Pilz manchmal anfangen zu faulen. Das passiert auch schon mal den Profis, dann muss das Substrat samt Sporen entsorgt werden. Seit letztem Jahr ist neu Francesca im Team, die in einer Kellerecke gerade dabei ist, den Igelstachelbart zu ernten. «Der kommt in den Kühlschrank und wird morgen für das Restaurant Lauch abgeholt.» freut sie sich. Und nicht nur das Lauch ist Kunde der Basler Stadtpilze. Mittlerweile sind die Edelpilze in zahlreichen Restaurants der Region vertreten, darunter das VITO und die Bordrestaurants der Balser Personenschifffahrt. Daneben findet man die feinen Pilze auch auf verschiedenen Märkten, wo man auch gleich noch mehr über die leckeren Wesen aus einer anderen Welt erfahren kann.

Stadtpilze GmbH

Lothringerstrasse 115

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