Er mag Reptilien, Hausspatzen und Menschen: Olivier Pagan, seit 20 Jahren Direktor des Zoo Basel, kennt sich aus mit hohen Wellen und mag den Rhein – ist jedoch selbst ein eher stilles Wasser. «Unsere Hauptakteure sind nicht die Direktoren», stellt er gleich zu Beginn des Gesprächs augenzwinkernd klar. Um danach sehr fokussiert, bestimmt und unterhaltsam von Herausforderungen und Zielen eines Zoos inmitten der Stadt zu erzählen.

Olivier Pagans Büro liegt direkt über dem Eingang des Zolli und besteht zur Hälfte aus Fenstern. Am Schreibtisch sitzend sieht der Zoo-Direktor daher nicht nur seine Arbeit, ein volles Bücherregal und einen vor Jahren im Garten eines Freundes ausgekochten Kamelschädel, sondern vor allem die fröhlichen Besucherinnen und Besucher. Etwas getrübt wird diese Sicht allerdings durch ziemlich schmutziges Fensterglas. Es ist Spatzen-Kot, der da rundum klebt. In den Rolladen-Kästen von Olivier Pagans Büro haben sich nämlich Hausspatzen eingenistet – als hätten sie geahnt, dass sie hier ganz bestimmt nicht verjagt würden. Tatsächlich gesteht der Chef, er habe ein «petit faible» für die kleinen Tierchen; der verschmierte Ausblick sei ihm egal. Im Gespräch zeigt sich denn auch sofort, dass er überaus klarsieht, was die Zukunft seines KMUs angeht oder den Wert des Zolli für Basel.

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Sie hatten kürzlich Ihr 20-jähriges Direktoren-Jubiläum – haben Sie gefeiert?

Nein, tatsächlich bin ich darüber erschrocken – ich hatte das gar nicht auf dem Radar. Zudem feiert man ja eigentlich erst ab 25 Jahren und dieses Jubiläum hatte ich bereits, da ich schon 1993 als Zoo-Tierarzt eingestellt wurde.

 

Was verbindet Sie mit dem Zolli?

Zum einen meine Jugend: Ich bin in St. Blaise bei Neuenburg aufgewachsen und wir waren immer wieder im Zoo Basel. Zudem war ich als Bub ein ‘Schlängeler’, ein Reptilien-Fan. Nach dem Studium habe ich über Reptilien-Krankheiten doktoriert und hatte dadurch das Glück, die Stelle als Zoo-Tierarzt in Basel zu erhalten. Das war für mich wie ein Sechser im Lotto. Der zweite Sechser war dann die Direktoren-Stelle. Damals war ich in einer einjährigen Auszeit und gerade mit dem Segelschiff auf Trinidad. Ich behaupte ja, dass ich heute nur hier sitze, weil diese wunderschönen Briefmarken voller bunter Vögel auf meinem Bewerbungscouvert klebten…

 

Als der Zolli vor bald 150 Jahren eröffnete, hiess es, er solle der Stadtbevölkerung die Natur- und Tierwelt näherbringen. Wie beurteilen Sie dieses Ziel aus heutiger Sicht?

Ich finde es hochmodern! In den Urkundepapieren von 1874 steht, die Leute der Stadt hätten keine Ahnung mehr von Tieren und der Natur. Und ganz ehrlich: Das ist heute nicht anders. Darum finde ich, dass wir hier als Stadtoase am richtigen Ort sind. Wir müssen der urbanen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts zeigen, was es bedeutet, sich für Tiere zu engagieren: Das heisst nämlich, den Tieren einen Lebensraum zu ermöglichen. Der Zoo Basel tut alles dafür, vitale, florierende Populationen bedrohter Tierarten aufrecht zu erhalten. Damit ist er auch ein Rettungsring, denn unsere Reservepopulationen könnten theoretisch wieder in natürliche Lebensräume integriert werden. Allerdings funktioniert das nur, wenn wir als Gesellschaft es schaffen, diese Lebensräume zu bewahren. Deshalb ist unsere Zusammenarbeit mit Naturschutzorganisationen wie dem WWF, Pro Natura oder der International Union for Conservation of Nature (IUCN) so entscheidend. Aber auch unsere Vernetzung mit anderen wissenschaftlich geführten Zoos – national und international. Das Ganze ist ein hochkomplexes Mosaik und der Zolli ein wichtiges Steinchen davon.

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Haben Sie hin und wieder mit Tierschützern zu tun?

Ja, das kommt vor. Mit dem generischen Begriff «Tierschützer» muss man allerdings aufpassen. Wir verstehen uns ebenfalls als Tier- und Artenschützer. Wir engagieren uns für den Schutz diverser Arten und sorgen kompromisslos für unsere Tiere. Tierschutz kann aber extremistische Forderungen beinhalten. Wenn Tierschutz heisst, keine Tiere zu halten, dann können wir uns mit dieser Idee natürlich nicht anfreunden. Wir haben als Zolli einen zentralen Bildungs- und Vermittlungsauftrag. Auch mit den Tierrechtlern haben wir Mühe. Wir sagen: Um einem Tier Rechte zusprechen zu können, sollte man es sehr gut kennen und wissen, was es braucht, damit es ihm gut geht. Oder anders ausgedrückt: Nur, wer ein Tier hält, kann es so gut kennen, dass er es schützen möchte. Ich setze mich eigentlich tagtäglich mit solchen Themen auseinander. Oft schaue ich dann auch zum Fenster raus, sehe die lachenden Gesichter und denke mir: So falsch machen wir’s vermutlich nicht.

 

Die Lage des Zolli in Basel ist sehr speziell: Mitten in der Stadt ist Wachstum ausgeschlossen und Platzmangel garantiert…

Das ist gleichzeitig Herausforderung und riesiges Glück! Die Annahme, dass es den Tieren besser geht, wenn sie mehr Platz haben, ist nämlich ein Trugschluss. In der menschlichen Denkhaltung bedeutet mehr immer besser – aber die Biologie funktioniert nicht so. Entscheidend ist die richtige Gestaltung des Raums. Nehmen wir zum Beispiel eine Schildkröte: Mit dem richtigen Bodensubstrat, der richtigen Temperatur, mit adäquaten Rückzugsorten und den richtigen Pflanzen geht es ihr besser, als wenn ich sie auf den Joggeli-Rasen setze und ihr sage: Jetzt lauf los und geniess deinen Platz! Natürlich ist es eine Herausforderung, auf unserem 12 Hektar grossen Gelände einen modernen Zoo zu gestalten. Die beschränkten Platzverhältnisse erfordern, dass wir die bestmöglichen Anlagen für unsere Tiere bauen. In der Natur hat ein Tier ja auch nicht unendlich viel Raum zur Verfügung. Es hat ein Territorium, welches es gegen Artgenossen und Feinde zu verteidigen hat. Die Idee, dass man in der Natur als Tier frei ist und im Zoo eingesperrt, ist falsch. Ich finde deshalb, der Zolli ist hier absolut am richtigen Ort. Die Bildung der urbanen Gesellschaft erreichen wir hier. Wir haben eine Million Besucherinnen und Besucher pro Jahr. Das würden wir vermutlich ausserhalb der Stadt nicht hinbekommen.

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Die Baslerinnen und Basler sind ja auch sehr stolz auf ihren Zolli…

Schon der liebevolle Name sagt’s. Wenn ich in der Romandie sage «Je travaille au Zolli», dann werde ich erst einmal gefragt: «Tu travaille où?» Man spürt hier stark die Regio Basiliensis und dass sie am Zolli hängt. Deshalb müssen wir ihm auch besondere Sorge tragen.

 

Sie öffnen die Anlage extra bereits um 8 Uhr, damit die Anwohnerinnen und Anwohner durch den Park zur Arbeit gehen können.

Das ist jetzt nicht wissenschaftlich fundiert, aber ja, ich behaupte, dass wir im engsten Umkreis viele Abonnenten verlören, wenn wir den Zolli erst um 9 oder 10 Uhr öffnen würden.

 

Wo trifft man Sie in der Stadt, wenn nicht im Zoo?

Am Rhein – ich bin ein grosser Fan von Wasser! Aber auch die Basler Innenstadt finde ich wunderschön und spaziere darum abends gerne durch die Gassen.

 

Was berührt Sie am Zolli am meisten?

Das tönt jetzt vielleicht etwas seltsam, aber es sind die Menschen. Das Engagement unserer Mitarbeitenden für die Tiere und ihre Begeisterung für das Ziel, einen guten Zoo zu führen – das macht mir Eindruck. Jeden Tag.

 

Was wollen Sie den Leserinnen und Lesern noch mitgeben?

Wenn man das Glück hat, in einem Zoo zu arbeiten – egal in welcher Position – will man den Menschen, die dieses Glück nicht haben, einen möglichst nachhaltigen Besuch ermöglichen. Heute herrscht so viel Hektik, Druck und Stress, dass ich es extrem wichtig finde, den Zolli auf altbewährte Art und Weise weiter zu betreiben. Mit Fokus auf die Tiererlebnisse und die wunderschöne Parkanlage. Vermutlich können wir alle bereits in wenigen Jahren in unserem Wohnzimmer ein Hologramm eines Blauwals aufspringen lassen. Die Begegnung mit dem Original ist und bleibt jedoch unsere Qualität.

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