Seit 30 Jahren prägen Quintus Miller und Paola Maranta mit ihrer Architektur Lebensräume. Welche Gedanken sie sich über neue Wohnformen machen und weshalb sie für sich nie ein eigenes Haus gebaut haben, erzählen sie im Gespräch.

Der Neubau des Heuwaage-Hochhauses, die Sanierung des Warenhauses Globus oder das Hochhaus im neuen Baloise-Park beim Bahnhof SBB – das Basler Architekturbüro Miller & Maranta hat gerade viel zu tun. Dass sich Paola Maranta und Quintus Miller
dennoch Zeit für ein Gespräch über Basels Architektur nehmen, spricht für sie. Und auch, dass sie sich beim Entwerfen Gedanken zu Identität, Wandel und Zukunft machen.

Die Bevölkerung in Basel wächst, der Raum ist begrenzt. Wo kann sich die Stadt noch entwickeln?
Quintus Miller: Die Stadt pulsiert und verändert sich gerade rasend schnell: Auf dem Wolfareal, dem Lysbüchel oder dem Rosental-Areal wird in Zukunft neuer Wohn- und Arbeitsraum geschaffen. Genügen wird das aber vermutlich nicht. Auch in Zentrumsnähe werden irgendwann Verdichtungen die Folge der Entwicklung sein. Beim Nauentor ist dies schon angedacht und zukünftig könnte der Aeschengraben grosses städtebauliches Potential bieten.

Paola Maranta: Unsere Wohn- und Arbeitsformen verändern sich. Der Arbeitsort ist heute viel weniger vorgegeben. Wir arbeiten zu Hause, im Zug oder im Café. Das verlangt nach entsprechendem Raum in der Wohnung oder in der Öffentlichkeit. Es entstehen neuen Angebote wie Co-Working-Spaces oder flexibel anmietbare Flächen in Wohnbauten.

Quintus Miller: In den 60er-Jahren haben wir uns noch mit dem Auto vom Barfi bis zur Mittleren Brücke gezwängt. Heute nehmen wir das Velo oder gehen zu Fuss. Das verändert den Charakter des öffentlichen Raums. Wichtig ist, dass wir versuchen vorauszudenken: Was macht für die kommenden Generationen Sinn? Wir wollen ja das Leben unserer Kinder und Enkel nicht einschränken, die Entwicklung der Stadt nicht bremsen, sondern eine zukünftige Entwicklung ermöglichen.

Loft oder Tiny House – in welche Richtung geht’s denn eher?
Quintus Miller: Es braucht beides. Die Gesellschaft besteht aus der Gesamtheit der Menschen mit ihren unterschiedlichen Ansprüchen. Wir müssen für sie alle das Passende anbieten. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass sich die Struktur der Gesellschaft ständig wandelt. Die Form der Familie zum Beispiel; man teilt sich Familien- und Erwerbsarbeit auf, was sich in der Wohnform wiederspiegelt.

Paola Maranta: Flexibilität ist da das Stichwort, wie es auch die aktuelle Krise gezeigt hat. In jeder Lebensphase und der entsprechenden Lebensform hat man unterschiedliche Bedürfnisse. Idealerweise ist der Wohnungsbau so flexibel, dass man sich als Bewohner ausdehnen oder auch verkleinern kann.

Wird dieses Szenario das Stadtbild verändern?
Quintus Miller: Für mich ist der Begriff ‘Stadtbild’ schwierig. Es geht nicht nur um ein Bild wie auf einer Postkarte. Die Stadt ist vielmehr ein komplexes räumliches Gefüge. Es sind die Strassen, Plätze und Gebäude, die unsere Lebens- und Arbeitsform abbilden. Die Stadt wird sich verändern. Sie wird wachsen und sich verdichten. Dies muss sie in einem guten Gleichgewicht zur Gesellschaft tun. Geschieht dies zu schnell, verlieren wir an Vertrautheit, verändert sie sich zu langsam, verliert sie an Attraktivität.

Paola Maranta: Dieser Wandel braucht einen entsprechenden kritischen Diskurs, damit die Veränderungen auf Akzeptanz stossen können. Dann wiederum bildet die Stadt ihre Bewohner ab, sie hat Identität.

Der Widerstand ist ja vor allem gross, wenn ein altes Gebäude abgerissen wird.
Paola Maranta: Mit Veränderung umzugehen ist oft nicht einfach, weil wir Vertrautes verlieren. Aber es ist der Lauf der Zeit. Nicht alles was alt ist, ist auch erhaltenswert. Solche Entscheide verlangen eine sorgfältige Abwägung der historischen und gesellschaftlichen Relevanz und dürfen nicht nur auf der Basis der Ökonomie erfolgen.

Quintus Miller: Steve Jobs schrieb einst, dass man sterben muss, um für weitere Entwicklungen Platz zu machen. Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich dessen bewusst ist. Die Stadt Basel hat in den letzten 1000 Jahren ihre Identität gepflegt und die zu verändern ist delikat. Es gibt aber auch Wege zu verändern und gleichzeitig die Geschichte mitzunehmen. Als Architekten fragen wir uns kontinuierlich: Was ist identitätsstiftend und relevant, was obsolet? Und ja, da müssen manchmal Gebäude ersetzt werden. Mit dem Münster wird dies wohl nie passieren.

Welche Neubauten sind in Ihren Augen denn besonders gelungen?
Paola Maranta: In Basel gibt es deren viele. Den Asklepios von Herzog & de Meuron mag ich mit seiner ausserordentlichen Selbstverständlichkeit ganz besonders.

Quintus Miller: Basel ist seit 200 Jahren eine Stadt mit ganz herausragenden Beispielen von sorgfältig gedachter und gebauter Architektur. In jeder Generation hat die Stadt europaweit herausragende Bauleistungen erbracht. Das ist ein wertvolles Gut, welches man pflegen und mit dem man mit Bedacht umgehen muss.

Warum ist gerade Basel zum Architektur-Hotspot geworden?
Quintus Miller: Basel ist eine humanistische Stadt, die seit der Renaissance Kultur auf einem sehr hohen Niveau pflegt. Hier wurde schon früh der offene Geist gefördert und Architektur nicht nur zur Selbstinszenierung gepflegt, sondern um der Stadt ein repräsentatives Gesicht zu geben.

Paola Maranta: In den 80er Jahren intensivierte der damalige Kantonsbaumeister Carl Fingerhut die Lancierung von Architekturwettbewerben. Damit gab es auch für Junge die Chance, sich am Architektur-Diskurs zu beteiligen. Wo der Boden gut ist, kann auch etwas wachsen. Auch uns ist es so ergangen – wir sind ja auch hier geblieben.

Inwiefern beschäftigt Sie das Thema Nachhaltigkeit?
Quintus Miller: Nachhaltigkeit ist eine professionelle Verpflichtung, eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Wir wollen ja abends in den Spiegel schauen können, ohne rot zu werden. Man muss aber Aspekte der Nachhaltigkeit auch immer wieder hinterfragen. Erst gestern habe ich zum Beispiel gelesen, dass Beton, der bisher in der Nachhaltigkeitsbetrachtung als schwierig galt, durch ein neuartiges Verfahren als Baumaterial wiederverwendet werden kann – das ist extrem vielversprechend! Gleichzeitig sind wir daran, ein grösseres Bauvorhaben in Vollholzkonstruktion ohne separate Isolation umzusetzen. Solche Bauweisen hätte man sich vor wenigen Jahren nicht vorstellen können.

Haben Sie das Haus, in dem Sie wohnen selber gebaut?
Paola Maranta: Nein, wir könnten kein Haus für uns selber bauen. Wir pflegen in unserer Projektentwicklung eine Streitkultur. Ums eigene Haus auch noch zu streiten, wäre uns zu viel. Wir wohnen in einem denkmalgeschützten Haus aus den 30er-Jahren, das sich nicht wirklich verändern lässt. Und das ist gut so.

Diese Story ist ursprünglich im LoveYourCity Magazin erschienen – dem Erlebnismagazin für Basel mit Tipps, Geschichten und Highlights aus der Stadt.
Die Ausgabe gibt’s auch online zum Durchblättern. 👉 LoveYourCity Magazin Editionen 2020