Lust auf eine Zeitreise mit Klang? Der Musiksaal im Stadtcasino Basel gehört zu den ältesten noch genutzten Konzertsälen Europas – mit Weltklasse-Akustik. Ein Besuch lohnt sich auch architektonisch, dank dem Umbau von Herzog & de Meuron

Mitten in Basel steht ein Casino. Dort findet man allerdings keinen einzigen Roulette-Tisch und einarmige Banditen gibt es da auch nicht. Das kommt daher, dass zur Zeit des Casino-Baus das Wort «Casino» eine andere Bedeutung hatte. Ein Casino war damals ein Gebäude mit Räumen für gesellige Zusammenkünfte. Und ein solches Gebäude brauchte die Stadt dringend, denn bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es kaum öffentliche Orte, wo sich die bürgerliche Gesellschaft treffen konnte. Es gab kein Museum und ausserhalb der Kirchen nur einen einzigen Saal, in dem grössere Konzerte stattfinden konnten.

Damals gab es keine staatliche Kulturförderung, das kulturelle Leben war durch Private und Vereine geprägt. Sie organisierten Vorträge, Konzerte und Ausstellungen. Auch die Anfänge des Stadtcasinos gehen auf eine private Initiative zurück: Ab 1808 trafen sich Mitglieder der Allgemeinen Lesegesellschaft in einer gemieteten Lokalität am Münsterplatz, um gemeinsam zu trinken, zu essen und Billard, Schach oder Bridge zu spielen. Natürlich war die Gesellschaft nur Männern vorbehalten, «Frauenzimmern» war der Zutritt untersagt.

Gesamtsanierung und Erweiterung Stadtcasino Basel, Schweiz von Herzog de Meuron Architekten, Basel, Schweiz, Casinogesellschaft, Basel aufgenommen am 19. Juli 2020 von Roman Weyeneth, fotografie roman weyeneth gmbh, Fotostudio Basel, Schweiz
(1 Bild: © Roman Weyeneth)

Junger Architekt setzt ambitioniertes Bauvorhaben um
Das fehlende Konzerthaus blieb ein Problem. Wer weltliche Musik hören wollte, war auf private Anlässe wohlhabender Familien angewiesen. Da waren dann durchaus auch «Stars» wie Clara Schumann oder Franz Liszt zu Gast – doch einfache Bürger bekamen für solche Hauskonzerte keine Einladung. Im Rahmen des Schweizerischen Musikfestes in Basel gründeten die geselligen Herren der Allgemeinen Lesegesellschaft schliesslich die «provisorische Comission zur Errichtung eines Gesellschaftshauses». Das neue Gebäude mit Konzert- und Tanzsaal, Spielzimmer, Erfrischungsräumen, Garderoben und einer Wohnung für den Abwart sollte für rund 96 000 Franken realisiert werden. Ausstattung inklusive.

Nach der öffentlichen Ausschreibung des Projekts entschied man sich, dessen Umsetzung mit dem 22-jährigen Architektur-Studenten Melchior Berri anzugehen. 1824 wurde die Casino-Gesellschaft Basel offiziell gegründet. 1826 feierte das Stadtcasino Eröffnung. Fortan trafen sich die Mitglieder der Casino-Gesellschaft immer sonntags im Konzertsaal im ersten Stock, um Mozart, Beethoven oder Rossini zu hören. Die wohl situierten Damen sassen rechts, die Frauen des Mittelstandes links. Sie waren nun immerhin als Begleitung der Herren geduldet.

Vom Zufall einer grossartigen Akustik
Das Stadtcasino kam in der Bevölkerung gut an, die Zahl der Besucher wuchs, die Zahl der Konzerte auch. Nicht nur Liszt und Schumann spielten im Stadtcasino, auch Johannes Brahms und Anton Rubinstein dirigierten hier. Bald genügte der Bau den Anforderungen an ein zeitgemässes Konzerthaus nicht mehr. Deshalb wurde der Basler Architekt Johann Jakob Stehlin der Jüngere beauftragt, eine Tonhalle für bis zu 1200 Personen zu konzipieren. Er entwarf einen schlichten rechteckigen Raum mit hoher Decke, der ans bestehende Casino angebaut werden sollte. «Ohne weitere Absicht» gab Stehlin seinem Saal eine Breite von 21 Metern, eine Länge von 36 Metern und eine Höhe von 15 Metern. Erst später wurde klar, dass dieses Verhältnis mit den hervorragenden akustischen Eigenschaften des Saals in Verbindung steht. Als die neue Tonhalle 1876 eingeweiht wurde, war man von der überragenden Akustik angenehm überrascht. Im Jahr 2016 bestätigte ein Gutachten: Im weltweiten Vergleich akustisch hochkarätiger Säle nimmt der Musiksaal des Stadtcasino Basel Platz 6 ein. Innerhalb der Schweiz Platz 1.

Doch neben Konzerten fanden hier auch immer wieder andere Veranstaltungen statt: 1877 wurde im Stadtcasino zum Beispiel die erste Basler Gewerbeausstellung eröffnet. Zwei Monate lang präsentierten 450 Aussteller Möbel, Nahrungsmittel, Kunst, Musikinstrumente und zahlreiche weitere Produkte. Der Grundstein für die spätere Schweizer Mustermesse war gelegt. Ein weiterer Meilenstein der Geschichte geschah am ersten Zionistenkongress 1897: Hier wurden im Stadtcasino die Weichen für die Errichtung eines jüdischen Staates gestellt. Bis zur Staatsgründung Israels 1948 fand der Kongress übrigens zehn Mal im Stadtcasino statt – mehr als in jeder anderen Stadt oder Räumlichkeit der Welt.

Dass auch ein Treppenhaus Kunst sein kann, siehst du im Innern. Aber keine Angst; es gibt auch einen Lift!
(1 Stadtcasino Basel | Fotografie: © Roman Weyeneth)

Und immer wieder: Platzprobleme und Sanierungen
Die vielfältigen Veranstaltungen machten bald deutlich, dass die Kapazität des Stadtcasinos bereits wieder an Grenzen stiess. Jakob Stehlin musste nämlich damals bei der Planung des Konzertsaals aus Kostengründen erhebliche Abstriche bei den angrenzenden Räumen machen. So waren die Proberäume zu klein und die Garderoben zu eng. Zudem war eine Sanierung fällig. 1938 wurde deshalb der ursprüngliche Casino-Bau von Melchior Berri abgerissen und durch einen bis heute etwas zweifelhaft bewerteten Bau der Architekten Kehlstadt & Brodbeck ersetzt. Immerhin konnte ein ursprünglich geplantes 16-stöckiges Hochhaus von diversen Kommissionen verhindert werden.

In den Folgejahren gab es neben weltpolitischen und wirtschaftlichen Krisen auch immer wieder interne Probleme. Die waren einerseits durch die unterschiedlichen Nutzungen des Hauses begründet: Neben Konzerten mit weltbekannten Musikschaffenden fanden hier auch Preisverleihungen, Auktionen, Modeschauen und sogar Boxkämpfe statt. Die Geräuschkulisse der teilweise gleichzeitig laufenden Veranstaltungen führte immer wieder zu Unmut. Doch auch die Architektur hielt dem Zahn der Zeit nur bedingt stand und so wurde immer wieder an Jakob Stehlins Architektur herumrenoviert. Weil der zunehmende Lärm von Trams und Autos die Konzerte im Saal zu stören begann, entschied man sich 1964 zum Beispiel, die Fenster gegen die Strasse zuzumauern. Der Tramlärm blieb schwierig, dazu kamen neue Platzprobleme, technisch veraltete Geräte und laufend anfallende Sanierungen.

So sieht heute das Foyer im UG aus.
(1 Stadtcasino Basel | Fotografie: © Roman Weyeneth)
Wuchtig im Klang, einzigartig in ihrer Ausführung – die neue Metzler-Orgel im Musiksaal des Stadtcasinos Basel.
 Stadtcasino Basel | Fotografie: Roman Weyeneth)

Die Rettung von Herzog & de Meuron
Um die Jahrtausendwende wurde ein Neubau diskutiert, der den Casinobau von 1939 ersetzen sollte. Die Casino-Gesellschaft schrieb einen internationalen Wettbewerb aus. Das monumentale Projekt der irakischen Architektin Zaha Hadid gewann, wurde jedoch 2007 von der Basler Stimmbevölkerung abgelehnt. In den Folgejahren arbeitete das Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron ein Projekt aus, das auch in der Bevölkerung auf Zustimmung stiess: Es sollte keine neue Architektur geben, sondern eine Verbreiterung des eigentlichen Baus im Stil des Bestehenden. 2016 konnte mit dem Umbau begonnen werden. Im Innern wurden wesentliche ursprüngliche Elemente wiederhergestellt, der alte Musiksaal wurde vom Stadtcasino von 1938 losgelöst und die notwendigen Zusatzräume zur Barfüsserkirche hin integriert.Die aussergewöhnliche Akustik machte die Erweiterung und Sanierung des Stadtcasino Basel enorm aufwendig. Jede Änderung im Musiksaal musste von Akustikexperten überprüft werden. Sämtliche Arbeiten wurden in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege geplant. Die einst zugemauerten Fenster wurden wieder geöffnet, die Bestuhlung originalgetreu nachgebaut und die einstige Farbgestaltung wiederhergestellt. Nach vierjähriger Bauphase konnte das neue Konzerthaus im August 2020 eröffnet werden.

Warum sich ein Besuch lohnt? Wegen der brillanten Akustik natürlich. Am besten in Verbindung mit einem der hochkarätigen Konzerte vom Sinfonieorchester Basel. Aber auch wegen der herausragenden architektonischen Verbindung von Tradition und Moderne. Äusserlich ist der Bau zurückhaltend, im Innern kann es nun nicht mehr nur die Akustikmit den berühmtesten Konzerthäusern der Welt aufnehmen. Die dunkelrote Brokat-Tapete, die opulenten Treppenhäuser, das eigens fürs Stadtcasino Basel entwickelte Parkett und die überraschenden Ein- und Ausblicke machen das neue Basler Konzerthaus zum wohl glamourösesten Ort der Stadt. Und das macht Sinn. Schliesslich konzertierten hier bereits Clara Schumann, Johannes Brahms, Franz Liszt und Leonard Bernstein.

Bilder: © Roman Weyeneth

Diese Story ist ursprünglich im LoveYourCity Magazin erschienen – dem Erlebnismagazin für Basel mit Tipps, Geschichten und Highlights aus der Stadt.
Die Ausgabe gibt’s auch online zum Durchblättern. 👉 LoveYourCity Magazin Editionen 2021