Tanja Grandits serviert farblich sortiert und nur auf runden Tellern – klingt streng, ist aber pure Harmonie. Die beste Köchin der Schweiz kocht mit Achtsamkeit, Leichtigkeit und viel Liebe. Ihr Rezept fürs Leben: zuerst gut zu sich selbst sein.

Wenn immer ich auf meinem Laptop «Tanja Grandits» eingebe, macht mein automatisches Korrekturprogramm daraus «Tanja Grandios». Und ich tippe ihren Namen oft, bevor ich sie in ihrem Restaurant, dem legendären Stucki, besuche. Je mehr ich im Vorfeld über sie lese, desto schwieriger erscheint es mir, etwas über sie zu schreiben. Sie hat nämlich bereits alle Fragen beantwortet. Unzählige Male. Dass sich am Tag meines Besuchs just dann der Himmel leert, als ich vor dem Restaurant Stucki stehe, macht alles nicht einfacher.

Wie ein begossener Pudel sitze ich an einem der Tische im Restaurant und lasse mir ein warmes Ingwer-Getränk servieren. Es ist mein erster Besuch im Stucki und überhaupt in einem Gourmet-Restaurant. Was ich bislang von der Welt der Spitzengastronomie weiss: Die Luft ist dünn so hoch oben. Gäste und Kritiker erwarten tägliche Perfektion, Verantwortung und Erfolgsdruck sind enorm; diverse Köche sind daran bereits zerbrochen. Frau Grandits muss ziemlich gestresst sein, zumal das vergangene Jahr kein leichtes war, denke ich mir. Und erwarte eine erschöpfte Frau.

Ich liege falsch. Entspannt lächelnd schwebt die zierliche Tanja Grandits in den Raum. Keinerlei Anzeichen von Hektik oder Unruhe. Wüsste ich nicht, dass sie Koch des Jahres ist, dotiert mit 19 Punkten und zwei Sternen, dass sie sieben Kochbücher geschrieben hat, 40 Angestellte führt und einen Delikatessenshop betreibt – ich würde schwören, sie ist Atemtherapeutin. Oder Yogalehrerin.

«Das vergangene Ausnahmejahr hat mit dazu beigetragen, dass ich noch nie so ausgeruht war wie jetzt», strahlt sie in sympathischem Schwäbisch. Zwar habe sie sehr viel gearbeitet, aber auf ganz andere Art und Weise. Sie schrieb Rezepte, arbeitete an ihrem neusten Kochbuch und stand im Laden, um ihre Gerichte als Take Away zu verkaufen. Abends hatte sie frei. «Nach 20 Jahren in der Gastronomie war das wie ein anderes Leben. Unglaublich schön!»

Wenn Tanja Grandits erzählt, funkeln ihre Augen und sie ist maximal fokussiert. Sie scheint vollkommen im Reinen zu sein mit sich und der Welt. Das Bild des cholerischen Kochs in meinem Kopf – es rinnt mir mit dem letzten Regentropfen den Nacken herunter. Ich schmunzle, als sie mir erzählt, dass sie jeden Morgen gleich nach dem Zähneputzen eine Yoga-Einheit absolviert. Und staune über ihre ausgiebigen Morgen-Rituale: «Ich mache Kerzen an, trinke meinen Matcha-Tee und umgebe mich mit tollen Düften, höre leise Musik, mache mir eine Gesichtsmaske und fühle mich dann für den Tag gestärkt. Nachdem ich für mich geguckt hab, kann ich den ganzen Tag für alle anderen gucken», lächelt sie.

Zu den anderen gehört zum Beispiel ihr Team. Sie fühlt sich nämlich nicht nur verantwortlich dafür, dass sie ihren Angestellten den Lohn zahlen kann, sondern auch dafür, dass es ihnen gut geht. «Ich möchte als Chef für meine Mitarbeitenden da sein, damit sie sich wohl fühlen und sich weiterentwickeln können. Man verbringt so viel Zeit bei der Arbeit, da muss es doch schön sein und Spass machen. Das Essen schmeckt ja auch besser, wenn die Atmosphäre gut ist.»

Offensichtlich arbeitet Tanja Grandits anders als andere Köche. Weniger hierarchisch, mehr familiär. Das merkt man auch daran, dass ihr Personal sie teilweise jahrelang begleitet. Mit ihrem Sou-Chef arbeitet sie seit 14 Jahren und noch immer grinst sie, wenn sie von ihm erzählt. «Er ist ein Unikum, trägt immer rosa Schürzen, eine rosa Kochjacke und mag es, sich in Schränken zu verstecken und dann zum Schrecken des Teams unverhofft rauszuspringen.» Zudem freut sie sich über zwei musikalische Abwäscher aus Tahiti: «Beide spielen Ukulele – und das unglaublich gut! Immer wenn jemand Geburtstag hat, spielen sie ein Ständeli und singen dazu – das ist so schön, eine wahnsinnige Bereicherung!»

Immer wieder betont sie ihre Dankbarkeit. Für die Zeit mit ihrer 16-jährigen Tochter Emma zum Beispiel. Oder dafür, dass sie kürzlich eine tolle Klavierlehrerin gefunden hat und nun bereits ein wenig «Amélie» spielen kann. Sie freut sich darüber, dass sie jeden Tag Dinge tun darf, die ihr Spass machen und Energie geben. Was sie denn wütend mache, will ich von ihr wissen. «Dummheit und Ignoranz», gibt sie zu. Und ergänzt sogleich: «Ich bin aber niemandem lange böse. Wut ist doch ein Gefühl, das einem ausbremst und hemmt, neue Sachen zu machen. Ein Gefühl, das einem Energie raubt. Ich bin eigentlich am liebsten bei mir selber.» Und wenn’s doch einmal nicht so rund läuft, hat sie einen Trick: «Dann geh ich kurz hoch, stell mich unter die Dusche und fang den Tag nochmal neu an. Das funktioniert!»

Auch das Älterwerden hilft ihr, bewusst im Hier und Jetzt zu leben. «Diese Gelassenheit, die das Alter mit sich bringt, geniesse ich wahnsinnig. In den letzten Jahren hat sich eine unglaubliche Grundzufriedenheit eingestellt. Da wo ich jetzt bin, ist es fantastisch. Ich weiss; was ich bis jetzt getan habe, war richtig, das ist meine Aufgabe im Leben.» Was nicht heisst, dass sie sich fortan ausruhen wird. Zu gross ist der Tatendrang, zu verlockend sind die Träume. Zum Beispiel hätte sie irgendwann gerne ein kleines Hotel, in dem sie alles zusammenbringen kann, was sie in ihrem Leben je gelernt und erfahren hat. Es müsste an einem schönen Ort sein, toll eingerichtet und natürlich würde es immer wahnsinnig gut riechen. «Ich stell mir vor, ich sitze dann am Küchentisch, trinke Champagner und schreib Rezepte. Und all die Leute, die ich je kennengelernt habe, können mich besuchen, gut essen und das Leben geniessen. Denn Genuss ist so ziemlich das Wichtigste.»

Der Regen hat etwas nachgelassen, als ich mich nach unserem Gespräch von Tanja Grandits verabschiede. Sie entschwindet so leise, wie sie gekommen ist – als wäre sie eine spirituelle Erscheinung gewesen. Entspannt lächelnd schwebe ich die Treppen des Restaurant Stucki hinunter. Vielleicht hat mein automatisches Korrekturprogramm Recht, wenn es aus «Grandits» jeweils «Grandios» macht.

Frau Grandits, was könnten Sie immer und zu jeder Tageszeit essen?
Hummus mit Rüebli. Das ist quasi unser täglicher Apéro. Am liebsten mit Zitrone und extrem viel Tahini. Es geht fast nicht einfacher, macht mich aber total glücklich.

Gibt es noch Freunde, die sich getrauen, Sie zu bekochen?
Ja, tatsächlich! Ich schätze es unglaublich, wenn jemand für mich kocht. Das kann auch ein einfaches Raclette sein, da habe ich keine Ansprüche. Nur Würste mag ich nicht.

Was schätzen Sie an Basel?
Dass die Stadt so weltoffen und international ist, so voller Kunst und Leben. Hier hat man alle Möglichkeiten einer Stadt, ist aber sofort im Grünen. Ich mag die Nähe zu Deutschland und Frankreich und spaziere wahnsinnig gerne am Rhein. Allerdings würde ich nie im Fluss schwimmen – das ist nicht meins.

Was bedeutet Ihnen Mode?
Ich liebe Mode! Wichtig sind mir schöne Materialien wie Leinen, Flanell oder hochwertige Baumwolle. Die geben mir ein gutes Gefühl auf der Haut. Sehr gerne trage ich Einteiler. Overalls und Latzhosen. Meine Lieblingslatzhose habe ich in vier verschiedenen Farben. Und von meinen weissen Lieblingsturnschuhen habe ich mir kürzlich noch einmal zwei identische Paare gekauft. Das sind einfach die besten.

Wer gibt Ihnen die besten Ratschläge?
Meine Freundin Elisa. Sie ist 84 Jahre alt und sehr weise. Wenn ich bei irgendwas nicht weiterweiss, frage ich sie, dann kommt’s gut. Von ihr habe ich auch meinen Postkarten-Fimmel. Ich schreibe ja sehr, sehr gerne Postkarten, die ich selber gestalte mit Stempeln und Stickern. Elisa macht das schon ihr Leben lang. Sie schreibt auch an sich selber. Das mache ich unterdessen auch ab und an. Es ist sehr lustig, im Briefkasten eine Postkarte von sich selber zu finden.

Tanja Grandits

Die aus dem Schwäbischen stammende Tanja Grandits begann ihre Kochlehre mit 23 Jahren, nachdem sie Abitur gemacht, zwei Semester Chemie studiert und ein Jahr als Au-Pair in den USA gearbeitet hatte. Vor 20 Jahren eröffnete sie ihr erstes Restaurant im Thurgau, seit 2008 ist sie Chefin des legendären Gourmet-Restaurants Stucki auf dem Bruderholz. Ihr Markenzeichen: Die monochrome Küche. Die heute 51-Jährige ist überzeugt, dass die Sinne den Geschmack besser erfassen können, wenn die Gerichte in einer Farbe gehalten und die Augen nicht abgelenkt werden. Die beste Köchin der Schweiz wurde 2020 von GaultMillau mit der Höchstnote 19 und als «Koch des Jahres» ausgezeichnet und hat zwei Sterne im Guide Michelin. Sie wohnt mit ihrer 16-jährigen Tochter Emma über dem Restaurant, hat sieben Kochbücher veröffentlicht und sammelt bereits neue Rezepte für ein weiteres Buch, das 2022 erscheinen soll.

Diese Story ist ursprünglich im LoveYourCity Magazin erschienen – dem Erlebnismagazin für Basel mit Tipps, Geschichten und Highlights aus der Stadt.
Die Ausgabe gibt’s auch online zum Durchblättern. 👉 LoveYourCity Magazin Editionen 2021