«Naima», der neuste Streich der Basler Filmemacherin und Regisseurin Anna Thommen, läuft ab Ende Februar in den Schweizer Kinos. Das einfühlsame Porträt der in Basel lebenden Venezolanerin Naima berührt und stimmt nachdenklich. Obwohl seit vielen Jahren in der Schweiz, kämpft Naima noch immer dafür, als integrierter, wertvoller Teil der Gesellschaft anerkannt zu werden. Dabei erlebt sie Glück, aber auch immer wieder harte Realität.
Anna filmt Naima in ausgelassenen, fröhlichen Momenten. Und sie hält die Kamera drauf, wenn sie scheitert und ihre Welt zusammenbricht. Immer wieder hat man im Kino das Gefühl, mit Naima zu verschmelzen, so nah ist Anna mit der Kamera an ihr dran. Dennoch wirkt die Protagonistin vollkommen natürlich, als gäbe es keine Dreharbeiten und kein Objektiv. Wie es zu dem Film kam, wie diese Nähe möglich war und wie es Naima heute geht, erfährst du im Gespräch mit Anna Thommen.
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Naima Cuica (links) mit Regisseurin Anna Thommen.
basellive.ch: Hattest du die Filmidee bereits im Kopf, als du mit Naima zu drehen begannst oder wolltest du einfach den Alltag dieser Frau einfangen?
Anna Thommen: Als ich Naima kennenlernte, erzählte sie mir ihre Migrationsgeschichte, die mich sehr berührte. In Venezuela war sie eine gebildete Frau aus einer gut situierten Mittelschichtfamilie, besass ein Hotel und wurde von allen respektiert. Mit der Ankunft in die Schweiz wurde sie zur «Migrantin», bekam nur noch Jobs im Billiglohnsektor und man liess sie täglich spüren, dass sie nicht dazugehörte.
Dieser Film handelt primär von menschlicher Stärke.Anna Thommen
Ich spürte in Naima eine enorme Kraft, sich all den Vorurteilen entgegenzustemmen und sich einen Platz für sich in dieser Gesellschaft zu erschaffen. Und das interessierte mich speziell an ihr. Sie begnügt sich nicht mit der Nebenrolle im Schatten der Gesellschaft, die für sie zugedacht ist, sondern möchte sich einbringen und wächst dabei über sich selber hinaus. Dieser Film handelt primär von menschlicher Stärke.
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Woher kennst du Naima überhaupt?
Ich habe sie 2019 am nationalen Frauenstreiktag in Basel kennengelernt. Ich war mit meinem Filmequipment unterwegs, um den Tag zu dokumentieren, da entdeckte ich Naima und ihre Freundin Monica. Sie waren ganz in Lila gekleidet und verteilten Flyer für den Frauenstreik an türkische Männer vor einem Café. Mir gefiel dieses Bild und intuitiv fragte ich die beiden, ob ich sie beim Flyerverteilen filmen dürfe. So kamen wir ins Gespräch.
Naima ist eine «natural born actress», sie scherte sich von Beginn weg nicht um die Kamera.Anna Thommen
Wie hast du es geschafft, diese extreme Nähe zwischen der Kamera und Naima herzustellen?
Naima und ich haben viel Zeit zusammen verbracht, ich habe ihr auch viel aus meinem eigenen Leben erzählt und wir spürten eine stetig wachsende Freundschaft, die viel Vertrauen geschaffen hat. Wir waren auch ein kleines Filmteam und Naima schloss jeden Einzelnen von uns in ihr Herz.
Naima ist aber auch eine «natural born actress», sie scherte sich von Beginn weg nicht um die Kamera und hatte keine Probleme damit, sich zu zeigen. Und dann war es sicherlich auch hilfreich, dass Naimas Vater Schauspieler war und ihre Stiefmutter Filmregisseurin. Somit wusste sie sehr genau, worauf sie sich einliess.
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Hast du ihr während des Drehs Inputs für Gespräche gegeben oder sind die diskutierten Themen natürlich entstanden?
Bei vielen Szenen war es eine Mischung aus Echtem, Unmittelbarem und von mir initiierten Inhaltsvorgaben. Naima und ich arbeiteten für den Film sehr eng zusammen und hatten immer wieder «Sitzungen», um zu besprechen, was aus ihrem Leben für den Film spannend wäre und wie wir das erzählen könnten.
Auch ihre Freundinnen und Freunde waren eingeweiht und wussten, was das Thema sein wird. Wenn sie dann aber angefangen haben darüber zu sprechen, wurde es wieder total echt, weil das ja auch die Themen sind, die sie umtreiben und die sie auch ohne Kamera besprechen würden.
Der Moment, an dem Naima den Brief mit dem neuen Praktikumsentscheid öffnet – war das Zufall, dass du da dabei warst?
Den Brief hatte sie schon früher bekommen, darum haben wir die Szene nachgestellt. Da das Ergebnis aber so frisch war, kam dieselbe Freude und der Stolz wieder hoch. Wenn man ganz genau hinhört, sagt sie am Schluss der Szene: «Ich kann das immer wieder anschauen, das ist so geil.»
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Hast du noch Kontakt zu Naima – wie geht es ihr heute?
Aber sicher habe ich noch Kontakt! Es ist durch den Film eine schöne Freundschaft entstanden. Naima geht es gut, sie arbeitet jetzt als Pflegfachfrau in einer Psychiatrie.
Hast du den Film mit Namia zusammen geschaut? Wie hat sie reagiert?
Ich habe mit ihr zusammen den Rohschnitt geschaut. Sie musste viel lachen und weinen und war tief berührt. Das Wichtigste aber war für mich, dass sie sagte, dass der Film genau die Botschaft vermittelt, die ihr am Herzen liege: Zu sich selbst zu stehen, sich einzubringen und den Mut haben auch manchmal gegen den Strom zu schwimmen.
Geht den Film im Kino anschauen und nicht zuhause auf einem Laptop – dazwischen liegen Welten!Anna Thommen
Wie fühlt sich das an für dich, wenn ein Film-Projekt abgeschlossen ist und in die Kinos kommt? Kannst du gut loslassen?
Zum Glück gibt es immer einen zeitlichen Abstand zwischen der Fertigstellung eines Filmes und der tatsächlichen Kinoauswertung. So habe ich tatsächlich bereits losgelassen und bin an einem neuen Filmprojekt dran. Umso mehr freue ich mich nun auf ein Wiedersehen mit dem Film vor Publikum, auf die Tournee mit Naima und der Filmcrew und auf die Reaktionen der Menschen.
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Ein Film bekommt zusammen mit dem Publikum nochmals ein Eigenleben und entfaltet sich teilweise unerwartet, wenn zum Beispiel an Stellen gelacht oder geweint wird, die für mich nach einem Jahr Schnittarbeit schon fast normal geworden sind. Das ist die Magie des Kinos! Darum geht den Film im Kino anschauen und nicht zuhause auf einem Laptop – dazwischen liegen Welten!
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V.l.n.r.: Ephrem Lüchinger (Filmmusik), Judith Lichtneckert (Produktion), Naima Cuica (Protagonistin), Anna Thommen (Regie), Gabriela Betschart (Kamera), Claudio Cea (Schnitt)
NAIMA – VORPREMIERE
Am Mittwoch, 26. Februar, um 18.15 Uhr im kult.kino atelier
Vorpremiere in Anwesenheit von Anna Thommen (Regisseurin) und Naima Cuica (Protagonistin).