Auf dem Erlenmatt-Areal ist viel Neues entstanden. Die Partys im alten «nt» bleiben Erinnerung, das Jetzt findet im Silo statt – ein gastfreundlicher Ort, geführt von jungen Profis aus Gastro und Hotellerie.

Es ist gespenstisch still im Hof vor dem Silo an diesem einen Mittag im März. Eine seltsame Stimmung liegt über der Stadt, die in schmutzig-gelbes Licht getaucht ist. Saharastaub – man möchte den Filter wechseln, die Linse reinigen, sich unter der Bettdecke verkriechen. Ich spitze meine Ohren, kann jedoch weder im Innenhof noch im Restaurant etwas hören. Dabei habe ich rauschende Motoren und quietschende Züge erwartet, mich kopfschüttelnd gefragt, wer wohl an den hintersten, verkehrsreichsten Zipfel der Stadt reist, um direkt an der Nord-Süd-Tangente neben Autobahn und Bahngeleisen zu übernachten.

Jetzt stehe ich also vor diesem offenbar unglaublich gut isolierten, kolossalen Gebäude, das mit seinen riesigen Bullaugen an ein gestrandetes Kreuzfahrtschiff erinnert. Früher wurden in dem von der Basler Lagerhausgesellschaft 1912 erbaute Silo Getreide und Kakao aufbewahrt, aber auch Wanduhren und Seidenstoffe. Entworfen hatte es der Basler Architekt Rudolf Sandreuter, der auch für die Aktienmühle und den Braunen Mutz verantwortlich ist. Etliche Jahre stand das Gebäude leer, bevor das gesamte Areal von der Stiftung Habitat aufgekauft wurde, um hier ein neues Quartier zu entwickeln.   

Hochbeete, Hühner und ein Hostel
Mein letzter Besuch in dieser Gegend? Vermutlich für ein Konzert im einstigen nt/Areal. Auch ein grässliches Date im «Erlkönig» ist mir noch in Erinnerung. Egal; lange her, viel passiert. Der «Erlkönig» ist jedenfalls das einzige Gebäude, das ich hier noch erkenne – es ist heute ein Quartiertreff. Das Silo wurde 2019 von Harry Gugger Studio umgebaut und einer neuen Nutzung zugeführt. Nun werden im «SILO by TALENT», wie das Silo richtig heisst, junge Talente aus Gastronomie und Hotellerie gefördert. Es gibt Seminarräume, ein Restaurant und ein Hostel. Rundherum viele neue Wohnblöcke, Spielplätze, Velos, Hühner, Ateliers, Hochbeete und Flaggen, auf denen steht «peace» und «no war!».

Ich bin mit Christian Bossard verabredet. Er ist aktuell der Geschäftsführer des Silos – allerdings nicht mehr lange, wie er mir erzählt. Die sympathische Atmosphäre im Innern des grauen Gebäudes ist überraschend. In dem entspannten Mix aus Beton, Holz, Licht und Grünpflanzen fühle ich mich sofort wohl. Auch wegen der überaus freundlichen und zuvorkommenden Bedienung. Nur; wo sind denn all die Menschen, die um diese Zeit eigentlich hier sein müssten? «Ja, es ist ruhig heute», bestätigt Christian, «in der Regel sind wir über Mittag sehr gut besucht.» Vielleicht liegts an der gelben Weltuntergangs-Tristesse.

Es sind vor allem die Leute aus dem neuen Quartier Erlenmatt Ost, die das Restaurant schätzen und natürlich die Gäste des Hostels. Aber: «Wir sind immer noch in der Aufbauphase», so Christian. «Zum einen kamen wir mit unserer Eröffnung direkt in die Pandemie. Zum anderen müssen die Baslerinnen und Basler das neue Quartier erst noch akzeptieren. Da ist in vielen Köpfen ein Widerstand drin, weil die gesamte Entwicklung des Areals stark politisch aufgeladen war.» Der Widerstand kommt mir bekannt vor. Doch bei mir beginnt er langsam zu bröckeln.

Das Ziel: Ein Wandel in der Gastro-Branche
Jetzt dominieren also Wohnraum und Talentförderung das Areal. Was mir nicht ganz klar ist; weshalb brauchen Leute aus Hotellerie und Gastro eine Förderung? «In diesen Branchen gibt es einen enormen Fachkräftemangel», klärt mich Christian auf. «Viele Junge springen nach der Ausbildung ab. Weil sie keine Perspektiven sehen, nichts mitbestimmen oder verändern können.» «Aber man liest doch überall von hippen Konzepten und könnte meinen, die Szene erlebe gerade einen kreativen Boom?» hake ich nach. «Ja, auf Instagram, also zu Hause. In den Gastro-Küchen sieht das leider anders aus», erläutert Christian. «Das ist mitunter auch ein Problem des Fachkräftemangels. Viele Junge wählen die Branche aus falschen Gründen. Und kommen auf die Welt, weil hier nicht alles ist wie im Prospekt. In der Gastronomie musst du arbeiten und zwar viel. Daran ändert auch ein ausgeklügeltes Konzept nichts.»

Ich beginne zu verstehen. «Das Problem liegt vor allem bei den Restaurantfachangestellten», so Christian weiter. «Deren Ausbildung ist stark in Verruf geraten. Man war im Service ja nur noch Tellertaxi.» Die Kunst des Servierens, wie sie in Luxus-Restaurants bis heute zelebriert wird, wurde in vielen Betrieben durch günstiges Aushilfspersonal ersetzt. Die Ausbildung war nicht mehr interessant, wer wollte, fand auch ohne einen Job. Und heute sind die guten Leute weg und es kommt nix nach. «Dabei ist es eigentlich ein toller, kreativer Beruf, der überdies sehr gut zu vereinbaren ist mit neuen Lebenszeitmodellen», findet Christian. «Es gibt flexible Arbeitszeiten und spannende Weiterbildungsmöglichkeiten.» Im Silo sollen sich die jungen Berufsabgängerinnen und Berufsabgänger nun so entwickeln, dass sie nach ihrem maximal zweijährigen Engagement eine verantwortungsvolle Position in der Gastronomie übernehmen können und so der Branche erhalten bleiben. «Wenn die Jungen eine Führungsposition übernehmen dürfen, wird auch ein Wandel in die Branche gelangen», ist sich Christian sicher. «Mein Wunsch ist es, dass es ein Sesselrücken gibt. Und dass wir mit dem Silo einen Beitrag dazu leisten können.»

«Wer will, kann sich hier beweisen»
Damit es so weit kommt, erhalten die jungen Talente im Silo sehr schnell sehr viele Kompetenzen und die Freiheit, eigene Entscheide zu fällen. «Wer will, kann sich hier beweisen. Ökologischere Zimmerreinigung, nachhaltigere Menükarte? Darf gerne umgesetzt werden. Bei uns bekommen die Leute die Möglichkeit zu zeigen, was sie können. Sie müssen Lösungen für Probleme finden ohne gleich aufzugeben – nur so werden sie besser», weiss Christian. Diese Verantwortung kann auch überfordern. Aber: «Wir sind kein soziales Projekt, um schwache Leute zu unterstützen, sondern ein wirtschaftlicher Betrieb, um starke Leute zu fördern. Wer das verstanden hat, bekommt hier eine Riesenchance.»

Im Sommer 2022 gab es den ersten grossen Wechsel; die Stellen im Silo sind jeweils auf zwei Jahre befristet. Auch Christian hat den Betrieb verlassen, zudem der Küchenchef und die Serviceleitung – ein komplett neues Team von rund zehn Leuten hat das Silo übernommen. «Wir wollen bewusst eine hohe Fluktuation. Es müssen Neue eine Chance bekommen. Auch ich muss weiter-
gehen. Ich habe das ganze Konzept geschrieben, die ersten Mitarbeitenden rekrutiert, das Gebäude mit Leben gefüllt. Nun müssen die Nächsten meine Arbeit optimieren», erklärte Christian, als er noch im Amt war. Die langen, ruhigen Gänge, die Seminarräume, die ehemaligen Silokammern, die (extrem coolen!) Zimmer – nach einem Spaziergang durchs Haus bin ich beeindruckt. Von der meditativen Wirkung des Betons, der klugen Architektur und den wohnlichen Räumen. Aber auch davon, was Christian mit seinem Team in den vergangenen Jahren aus dem Ganzen gemacht hat. Nein, es wird nicht wieder zehn Jahre dauern, bis ich mich das nächste Mal hierhin verirre. Ein Brunch im Gärtchen und ein Dinner im Restaurant sind in Planung. Höchste Zeit, mit dem Areal Frieden und das neue Silo ins Herz zu schliessen!

Das Silo – ein Talentbetrieb
Es ist die «Förderung und Entwicklung von jungen Talentierten und motivierten Berufsleuten aus allen Berufsfeldern der Gastronomie und Hotellerie», welche sich der Verein Talent zum Ziel gesetzt hat. Gegründet wurde die Organisation von Vertreterinnen und Vertretern der Basler Gastronomie und Hotellerie, die den jungen Mitarbeitenden auch als Coaches zur Verfügung stehen.

In dem architektonisch herausragenden Bau findet sich ein Hostel mit reduziert eingerichteten, aber einzigartigen Zweier- und Viererzimmern zu fairen Preisen. Im Parterre gibt es ein unkompliziertes, dem grünen Zeitgeist entsprechendes Restaurant mit Bar und Terrasse und drei Schulungsräume. Im Obergeschoss werden neben den Übernachtungsmöglichkeiten auch Atelierräume vermietet.

Diese Story ist ursprünglich im LoveYourCity Magazin erschienen – dem Erlebnismagazin für Basel mit Tipps, Geschichten und Highlights aus der Stadt.
Die Ausgabe gibt’s auch online zum Durchblättern. 👉 LoveYourCity Magazin Editionen 2022