Bevor der Begriff bekannt war, eröffnete Marianne Mumenthaler an der Feldbergstrasse den Concept Store Marinsel. Heute führt sie drei Läden in Basel. Ein Gespräch über Wandel, Modesünden und veganes Leder aus Kakteen.

Rund 20 Jahre ist es her, als das Thema Upcycling in Basel ankam. Marianne Mumenthaler, gelernte Schrift- und Reklamegestalterin, produzierte damals ihre eigenen kleinen Recycling-Produkte und verkaufte sie an Flohmis und Nachtmärkten. «Irgendwie fand ich keine geeignete Plattform für meine Sachen», erzählt sie im Gespräch. «Deshalb kreierte ich meine eigene.» Sie übernahm einen kleinen Laden an der Feldbergstrasse, taufte ihn Marinsel und begann, handgemachte Einzelstücke und Schweizer Mode zu verkaufen. Heute hat sie zehn Angestellte und führt mit Marinsel, Ooid Store und Planet MO erfolgreich drei Mode-Läden, die in der Szene bekannt sind für nachhaltige Mode von kleinen Labels aus der ganzen Welt, die man sonst in Basel kaum findet.

Es scheint, als wäre es nicht dein Plan gewesen, dass du irgendwann drei Läden führst …

Nein, null! Es war auch sehr lange nicht einfach. Ich habe das Ganze aus Leidenschaft gemacht und nicht erwartet, dass ich damit einmal Geld verdienen würde. Sieben Jahre hat es dann auch gedauert, bis ich mir erstmals einen Lohn auszahlte. Damals war die Nachfrage in Basel noch nicht so weit verbreitet. Concept Stores fand man allenfalls in Paris, Tokio oder New York. Es gab erst wenige nachhaltige Marken, das Verständnis für Nachhaltigkeit in der Mode war erst in den Anfängen. Heute sind wir an einem komplett anderen Punkt. Heute ist es uncool, wenn du keine Bio-Baumwolle kaufst.

Was hast du denn in all den Jahren über die modischen Vorlieben der Baslerinnen und Basler gelernt?

In Basel muss es velotauglich sein! Stöckelschuhe und Supermini oder lange Jupes ohne Schlitz – das ist weniger gefragt. Zumindest bei unserer Kundschaft. Zu ausgefallen darf man nicht sein und man rennt auch nicht allen Trends hinterher. Die Leute mögen Teile, die selten zu finden sind. Ich würde gerne etwas modischer einkaufen. Für das Ooid Store Sortiment wähle ich darum manchmal Teile einer Kollektion aus, bei denen ich weiss, die verkaufen sich vermutlich weniger schnell. Aber sie sind dermassen formvollendet, dass ich unglücklich wäre, hätte ich sie nicht im Sortiment … Und vielleicht kommt ja doch diese eine Person und verliebt sich!

«Das Verständnis für Nachhaltigkeit in der Mode war erst in den Anfängen. Heute sind wir an einem komplett anderen Punkt.»
Marianne Mumenthaler

Hast du modische Entwicklungen festgestellt?

Natürlich! Vieles braucht einfach seine Zeit. Zum Beispiel hatten wir bereits vor zehn Jahren Jump-suits im Sortiment. Die haben leider wenige Leute interessiert. Heute jedoch bieten wir mehr als 15 verschiedene Modelle an, sind quasi spezialisiert auf Jumpsuits, weil sie dermassen gefragt sind und fast allen passen. Übrigens haben wir bewusst nur wenige Stücke im Sale. Wir möchten nicht den Kauf unverhältnismässig reduzierter Artikel fördern und so den Anreiz schaffen, Mode zu kaufen, welche schlussendlich nicht getragen wird. In unserem neuen Lokal Planet MO bieten wir ausschliesslich Mode vergangener Kollektionen zu freundlichen Preisen an. Oftmals ist nur noch eine Grösse vorhanden. Mit guter Beratung und etwas Glück kann so ein ganzes Outfit für wenig Geld zusammengestellt werden. Damit füllen wir die Lücke zwischen Secondhand und Neuware. Aus meiner Sicht ein Beitrag zur Nachhaltigkeit. Und ein guter Einstieg für jene mit kleinerem Budge

Ist Nachhaltigkeit bei euch ein Kriterium, dass ihr ein Label ins Sortiment aufnehmt?

Ja, bei Marinsel muss jede Marke nachhaltig sein. Viele sind Familienbetriebe oder kleine Teams, die wir persönlich kennen. Transparenz ist je länger je wichtiger, darum kannst du über weite Strecken nachverfolgen, wie der Preis zustande kommt oder wo die Produktionsstätten sind. Mir ist auch wichtig, das Handwerk zu unterstützen. Ich will hervorheben, dass es Labels gibt, deren Stoffe handgewoben sind. Oder handgestrickt. Viele kleine Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, haben aktuell ein Problem an Bio-Baumwolle zu kommen, weil die grossen Ketten nun eben auch umstellen und die vorhandenen Ressourcen aufkaufen. So müssen Alternativen gesucht werden. Gewisse Marken setzen nun auf Hanf oder recycelte Materialien.

Wie ist es bei Ooid?

Beim Ooid Store bieten wir Mode in einer etwas höheren Preisklasse an, somit ist die Zielkundschaft nicht ganz so jung. Hier ist das Thema Nachhaltigkeit im Sinne von Bio-Qualität weniger konsequent umzusetzen. Dennoch wird unser Sortiment fortlaufend angepasst. Nachhaltig einkaufen ist sehr facettenreich und bedeutet ja auch zeitlose Mode zu kaufen. Das trifft bei uns gut zu. Ich beobachte, dass im höherpreisigen Segment z. B. Recycling noch nicht so weit verbreitet ist. Was ich neulich entdeckt habe, sind in Portugal produzierte Aloe Vera-Fasern. Bambusfasern gibt es schon länger und Rucksäcke aus Bananenpflanzenfasern führen wir bereits im Sortiment. Schuhe aus Ananas-Leder konnten mich optisch bisher nicht überzeugen. Bei Marinsel verkaufen wir heute Taschen aus Kaktus-Leder, Pullover aus recyceltem Denim oder aus Soja-Abfällen hergestellte Fasern. Solche Geschichten finde ich spannend, sie sind nicht mehr wegzudenken. Am liebsten möchte ich längerfristig so viele Baumwollartikel wie möglich mit alternativen Materialien ersetzen. Mal sehen, was die Zukunft bringt!

Wo findest du deine Labels?

Ich mache das gemeinsam mit meiner langjährigen Mitarbeiterin Angela Schafer. Wir gehen drei bis viermal im Jahr nach Paris an Modemessen, ich war auch schon in Berlin, Kopenhagen, New York und Tokio, habe immer und überall die Augen und Ohren offen. Ab und zu wird uns auch etwas Interessantes von Stammkund:innen empfohlen oder ich spreche Leute direkt an, wenn mir ein Stück auffällt.

Du bist ja mit Marinsel neulich erst an die Lothringerstrasse gezogen – warum nicht in die Innenstadt?

Ich suchte drei Jahre lang nach einem grösseren Lokal und tatsächlich hätte ich im Zentrum beinahe einen Vertrag unterschrieben. Heute bin ich froh, dass ich mich dagegen entschieden habe. Viele unserer Kund:innen wohnen oder arbeiten im St. Johann, zudem wollen wir gar nicht die Masse erreichen. Lieber sind wir weniger Hektik ausgesetzt und können dafür auf die Beratung setzen, sofern diese gewünscht ist. Das ist entspannter und entspricht uns sehr. Ich vermisse die Freie Strasse nicht. Allerdings spüren wir vor allem wenns regnet, dass wir kein Tram vor der Hütte haben und ein Café zum Verweilen in der Nähe wäre auch noch schön als Ergänzung im Quartier …

Stresst dich die Verantwortung für deine Läden und Mitarbeitenden manchmal?

Grundsätzlich nicht. Aber Anfang März 2020 war ich schon etwas überfordert. Alle hatten Fragen, und ich keine Antworten … Unsere Stammkundschaft ist grandios, hat viel bestellt und uns so den Mut gegeben, weiterzumachen. Unser Online-Shop hat sich extrem bewährt. Mit meinem Cargobike habe ich während dem ersten Lockdown über 150 Bestellungen persönlich ausgeliefert und so einige positive Begegnungen erleben dürfen.

Welche Modesünde gibt es in deiner Biografie?

Als Teenager war ich oft auf Flohmis und in Brockis unterwegs und kleidete mich wie ein Opa. Ich trug hellblaue Männerpullis mit Kragen und Knöpfen. Ich hatte jedoch nie Buffalos! Und auch nie eine Tasche, auf der draufsteht «Die Baslerin». Doch da war mal so ein hautenges schwarzes Oberteil mit Volants am Ärmel. Wenn ich da dran denke, ziehts mir alles zusammen. Aber hey, damals war ich halt noch auf Identitätssuche …

Wie sieht dein Schrank heute aus – liegen da Teile grosser Ketten?

Allenfalls solche, die ich mal an einem Flohmi gekauft habe. Aber wenn ich die Teile nach wie vor trage, brauche ich sie ja auch nicht zu entsorgen. Ansonsten besitze ich fast ausschliesslich Kleider von uns. Vieles habe ich doppelt oder dreifach, aus Angst, dass mein Lieblingsteil irgendwann irreparabel ist und ich Reserve brauche.

Was müsste man an dieser Stelle noch erwähnen?

Wir verkaufen auch Männersachen! Ich glaube, viele nehmen das gar nicht wahr. Schaut einfach mal vorbei!

Diese Story ist ursprünglich im LoveYourCity Magazin erschienen – dem Erlebnismagazin für Basel mit Tipps, Geschichten und Highlights aus der Stadt.
Die Ausgabe gibt’s auch online zum Durchblättern. 👉 LoveYourCity Magazin Editionen 2022